Dienstag, 21. Januar 2014

Einen wohlverdienten 3. Platz bei der Leserabstimmung - im Vergleich zum ADAC ungefälscht - erreicht ein Text, der einen völlig neuen Blick auf die politischen Folgen der demografischen Entwicklung warf und einen bleibenden Eindruck bei den Lesern hinterließ.

 


Daniel Vedder
Dieter Schütz  / pixelio.de
 
Wir alle kennen die Zahlen: vor 50 Jahren kamen auf einen Rentner noch ca. drei Berufstätige, heute sind es knapp einer auf zwei und in weiteren 50 Jahren sind es möglicherweise gar für jeden Berufstätigen ein Rentner1. Wir wissen auch alle, was das bedeutet: höhere Sozialabgaben für uns, die nachwachsende Generation, der spätere Renteneintritt, und niedrigere Renten. Oft genug bekommen wir diesen Sachverhalt in der Schule zu hören. Doch ein Aspekt des vielzitierten demografischen Wandels ist erstaunlich wenig beachtet. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft kennen wir. Aber was sind die Auswirkungen auf die Demokratie selbst?
Das Grundmerkmal jeder Demokratie ist die Herrschaft der Mehrheit. In den großen demokratischen Revolutionen der letzten 250 Jahre war damit auch fast immer verknüpft, dass diejenige Bevölkerungsschicht den Staat führen wollte, die mit ihrer Arbeitsleistung auch die Wirtschaft am Laufen hielt. Für sie galt das Prinzip „Wer zahlt, schafft an“. Nicht eine kleine Gruppe fauler Adeliger sollte die Entscheidungen treffen, sondern die Arbeiter, die erstens in der Mehrheit waren und die zweitens ohnehin die gesamte Wirtschaftsleistung erbrachten. Sie wollten ihr Geld selber ausgeben können. Ein durchaus gerechter Anspruch, aber einer, der in der Rentengesellschaft von Morgen nicht unproblematisch ist.
Denn was passiert, wenn die Gruppe, die die demokratische Mehrheit besitzt, nicht mehr die Gruppe ist, die den Wohlstand erzeugt? Wenn es mehr Rentner als Beruftstätige gibt? (Es sei zu beachten, dass hierbei keine absolute Mehrheit nötig ist. Die ältere Generation muss es nur schaffen, in den regierenden Parteien genug Einfluss zu erhalten.) Damit könnten die Rentner theoretisch kontrollieren, was mit dem Geld passiert, dass die Jüngeren verdienen. So warnte der frühere Bundespräsident Roman Herzog: „Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern.“2 Das wäre demokratisch. Aber wo bliebe unsere hochgeschätzte Gerechtigkeit?
Andererseits meint Gesellschaftsforscher Meinhard Miegel, die Jüngeren würden „Mittel und Wege finden, sich der Belastung zu entziehen – da können die Mehrheitsverhältnisse sein wie sie wollen.“2 Wir stehen hier also vor einem schwerwiegenden Dilemma. Auf der einen Seite haben wir die ältere Generation, die als potentielle demokratische Mehrheit wider aller Gerechtigkeit die Jüngeren ausnutzen könnte. Auf der anderen Seite stehen die Berufstätigen, die ihre Ersparnisse unter allen Umständen selbst verwalten wollen, und zu dem Zweck vielleicht sogar bereit wären, die in Artikel 20 GG festgelegten Prinzipien unseres demokratischen Sozialstaats zu missachten.
Es scheint eine Wahl zwischen Scylla und Charybdis zu sein – entweder die Gerechtigkeit oder die Demokratie muss dran glauben. Doch es gibt einen denkbaren Ausweg: das Familienwahlrecht. Dieses wurde bereits dreimal im Bundestag vorgeschlagen, zuletzt 2008, jedoch jedes Mal ergebnislos. Die Idee hinter diesem Gesetzesentwurf ist, den Familien mehr politischen Einfluss zu geben, indem man auch Kindern das Wahlrecht gibt. Laut seinen Befürwortern würde dies ein Gegengewicht schaffen zu den Wahlstimmen der Rentner, und somit der Politik die nötige Ausrichtung auf Nachhaltigkeit verschaffen. Der Schutz der Familie ist fest im Grundgesetz verankert (Art. 6), ist aber auf Grund einer kleinen Familienlobby in der täglichen Politik nicht immer so wichtig, wie er sein sollte. Mit dem Familienwahlrecht würde man Politiker zwingen, mehr auf die Familien zu achten, die ja die Zukunft unserer Gesellschaft darstellen3. Auch würde es dem Grundsatz der allgemeinen Wahlen näher kommen als die momentane Regelung, die unter-18-Jährige von den Wahlen ausschließt.
Das es dabei aber auch Probleme gibt, liegt auf der Hand. Diese liegen darin begründet, dass Kinder nicht voll zurechnungsfähig sind. Wenn dies für ihre Straffähigkeit gilt, warum sollte es für ihr Wahlrecht anders sein? Die Stimme der Kinder müsste daher treuhänderisch von den Eltern vergeben werden. Doch welches Elternteil entscheidet, für welche Partei „das Kind wählen soll“? Und was, wenn das Kind eine andere Partei bevorzugt als die Eltern, dies aber auf Grund seiner Minderjährigkeit nicht durchsetzen kann? Mal ganz abgesehen davon, dass das Wahlrecht ein höchstpersönliches Recht ist, was bedeutet, dass es überhaupt nicht von einer Person für eine andere ausgeübt werden darf. Letztlich würde das treuhänderische Ausüben des Wahlrechts bedeuten, dass die Eltern mehrere Stimmen hätten – ein klarer Bruch mit dem Prinzip der gleichen Wahl. Prof. Isensee aus Bonn meinte hierzu in einem Aufsatz aus dem Jahre 2004, dass das Familienwahlrecht in seiner momentanen Konzeption einer Verfassungsänderung bedürfe. Jedoch sei diese im Rahmen dessen, was das Grundgesetz erlaubt, ließe sich also mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag durchsetzen4. Allerdings setzt eine Zwei-Drittel-Mehrheit eine breite gesellschaftliche Zustimmung voraus, die momentan noch nicht vorhanden ist, und die sich auch nicht für die nähere Zukunft abzeichnet. Es lässt sich schlussfolgern, dass das Familienwahlrecht, zumindest nach heutiger Sicht, kein realistischer Lösungsansatz ist für die oben genannten Probleme.
Also quo vadis, Deutschland? Die Gefahren einer Altenrepublik sind klar erkennbar. Leider wissen wir noch nicht, wie wir damit umgehen sollen. Hier braucht es eine verstärkte öffentliche Debatte, die diesen Sachverhalt thematisiert, bevor es zu spät ist. Bei allem Pessimismus sei jedoch auch angemerkt, dass die Daten, die unseren Befürchtungen zu Grunde liegen, Vorausberechnungen sind, mit allen damit verbundenen Unsicherheiten. Es könnte also sein, dass sie nie eintreffen, und dass wir die beschriebenen Probleme nie haben werden. Nichtsdestotrotz müssen wir gerüstet sein, denn die Möglichkeit eines Fehlalarms entschuldigt nicht das Fernbleiben der Rettungskräfte. Wie Malcom X sagte: „Die Zukunft gehört denen, die sich schon heute darauf vorbereiten.“


Quellen
  1. Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur“, Bundeszentrale für politische Bildung http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61541/altersstruktur
  2. Kampf der Generationen: Herzog warnt vor 'Rentner-Demokratie“, Spiegel Online, 2008 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kampf-der-generationen-herzog-warnt-vor-rentner-demokratie-a-546690.html
  3. Schmidt, Renate (2004). „Anmerkungen der Bundesministerin Renate Schmidt zum Familienwahlrecht“, Humboldt Forum Recht http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/2-2004/beitrag.html
  4. Isensee, Josef (2004). „Familienwahlrecht und Grundgesetz“, Humboldt Forum Recht http://www.humboldt-forum-recht.de/druckansicht/druckansicht.php?artikelid=38

1 Kommentar:

  1. Ich habe immer noch die Sorge, dass das Familienwahlrecht, obwohl verfassungstechnisch fragwürdig, vielleicht die einzige Lösung ist.

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