Sonntag, 20. Oktober 2013



 Niklas Götz

Es gab einen Ort auf der Welt, der den Namen Litten nicht vergaß: Die DDR. Doch selbst wenn hier jeder Schüler seinen Namen kannte: Reflektierte Auseinandersetzungen gab es mit ihm nicht – im Gegenteil, er war eine kommunistische Ikone. Der vorletzte Teil der Litten – Pentalogie beleuchtet die rote Seite seiner Rezeption.


 In vorherigen Teil wurde deutlich, das Litten im Westen beinahe vollständig aus den Geschichtsbüchern getilgt wurde (siehe Teil III).

Die Situation in der DDR verhielt sich grundlegend anders. Bereits 1950 wurde die erste Volksrichterschule der DDR nach Hans Litten benannt. Er sollte auch später für diese neue, sozialistische Klasse der Juristen der DDR von großer Bedeutung sein.

Ein Jahr später wurde die „Neue Friedrichsstraße“ in Ost-Berlin nach Hans Litten umbenannt. Dort befindet sich das Amtsgericht Mitte und das Landgericht Berlin, wobei sich an Letzterem eine scheinbar objektive Gedenktafel befindet, die Hans Litten als „unerschrockenen Kämpfer für Menschlichkeit und Frieden“ ehrt. Innerhalb des Gerichtsgebäudes befindet sich ebenfalls eine Büste.

Litten sollte später immer mehr stilisiert und immer größeren Bevölkerungsschichten nahegebracht werden. So wurde aus ihm ein Volksheld, ein Klassenkämpfer für das Proletariat und vielmehr ein Marxist als ein unbequemer Anwalt, aber auch jemand, der genau das Weltbild und die Überzeugung der DDR-Staatsführung vertrat.

Auch hier wurde seine jüdische Herkunft kaschiert, um die jüdisch-deutsche Tradition aus dem Fokus zu nehmen.

Dies spricht auch wieder für eine Problematik mit der Shoah- bzw. Nazi-Vergangenheit, die jedoch auf einem anderen Wege bewältigt wurde, welche eine „Rezeption“ oder eher eine Propagandanutzung Littens ermöglichte.

Die SED sah keinerlei Notwendigkeit, sich in irgendeiner Weise mit dem Dritten Reich auseinanderzusetzen, da mit der "antifaschistisch-demokratischen Umwälzung" 1945-1949 der Nationalsozialismus restlos "ausgerottet" worden sei.

Somit seien Schuld und Verantwortung für diese Zeit nicht vorhanden, das Erbe der Scham und des Erinnerns an die Gräueltaten ebenfalls. Die DDR sah sich nicht als Nachfolgerstaat des Dritten Reiches und weigerte sich bis 1988 jüdischen Opfern Entschädigung zu leisten.

Um dies weiter zu festigen, wurde die Behauptung geschaffen, dass deutsche Antifaschisten, wie Litten einer war, zusammen mit der Sowjetunion die Hitlerdiktatur besiegt und den Nationalsozialismus ausgerottet haben.

Da jedoch die wenigsten Ost- wie  Westdeutschen Widerstandskämpfer waren, wurden unzählige Denkmäler geschaffen und teilweise auch einige Mythen dazu erfunden.

Litten wurde auch ein Opfer dieser künstlichen Widerstandsvergangenheit mit deutlich sozialistischer Prägung. Auch wenn er aufgrund seiner Nähe zum oftmals verschwiegenen Holocaust problematisch war – die Shoah passte nicht ins Klassenschema – so war er doch ideal um den neu entstandenen Volksrichtern ein Vorbild zu geben. Dies waren Juristen, die anstatt an Universitäten in anderen staatlichen Institutionen ausgebildet wurden. Die SED war vor die Herausforderungen gestellt, ihren enormes juristischen Persornalbedarf zu decken, nachdem rund 80% der Richter und Juristen der NSDAP angehört hatten. Da die Universitäten ihre Ausbildung noch nicht nach den Wünschen der SED abgeändert hatten, ergriff diese selbst die Initiative, wobei sie später von der Sowjetischen Militäradministration unterstützt wurde. Diese neue Ausbildungsform diente einerseits zur Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs und Durchdringung des ostdeutschen juristischen Apparats via Beeinflussung der rechtswissenschaftlichen Lehre. Andererseits sollten jedoch die Juristen der neu entstandenen DDR politisiert und systemtreu sein, was über eine lang anhaltende Beeinflussung während der Ausbildung erreicht wurde. Während die politische Ausrichtung noch anfangs überparteilich-antifaschistisch war, wandelte dies sich später zum Sozialismus.

Litten war ein Element der Beeinflussung. Er wurde als überzeugter Marxist dargestellt, der im Grunde ein geistiger Vater der DDR war. Er sollte die Volksrichter zur Vaterlandsliebe und Widerstand gegenüber dem Faschismus (und damit auch dem faschistischen Westen) motivieren. Und auch wenn dieses Bild in Teilen richtig war, so ist doch festzustellen, dass beide deutsche Nationen zu keinem akzeptablen Bild über Litten kamen. Auf beiden Seiten wurde er viel zu politisch, viel zu marxistisch gesehen, und es war weniger der Kampf gegen den Faschismus als politische Richtung, den er ausfocht, sondern der Kampf für Recht, Gerechtigkeit und Frieden, die durch Hitler bedroht wurden. Noch bedauerlich ist es, dass seine jüdische Herkunft nicht nur totgeschwiegen, sondern auch noch verleumdet wurden.

Aber dies rührte hauptsächlich durch die oben erwähnten Traumata des deutschen Volkes her, dass sich nach dem Schrecken des deutschen Volkes an der Grenze zwischen den beiden politischen Polen der neuen Weltordnung wiederfand. Dies wurde in der Rezeption – oder Nicht-Rezeption – Littens deutlich, die jedoch auf beiden Seiten mit einer Ignoranz des Bezugs zum Judentum und seinem Schicksal einherging. Doch gerade seine Religion prägte Littens Jugend und auch sein weiteres Schicksal sehr.

Erst durch die Wiedervereinigung sollte es für die Auseinandersetzung mit Litten einen Neuanfang geben.

Die Hans-Litten Pentalogie:
1. Ein Einführung
2. Ein Leben für die Gerechtigkeit
3. Schamhaftes Schweigen in der BRD
4. Littenkult in der DDR
5. Auferstanden aus Ruinen

2 Kommentare:

  1. Verdrehung der Geschichte ist irgendwie ein wiederkehrendes Element bei jeglichem Regime... von Stalin und Hitler bis Animal Farm.

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  2. "Die Farm der Tiere" stellt ja nur die typischen Elemente da, ebenso wie 1984.
    Jedoch muss man bedenken dass Erinnerung immer auch identitätsstiftend ist - ohne Verdrehung geht es nicht. Nur die Geschichtswissenschaft hat es sich zum Ziel gemacht, Geschichte neutral darzusstellen. Erinnung dagegen ist stets abgeändert, nicht nur kollektiv, sondern individuell (unsere Erinnerung stellt uns immer so da, wie wir uns haben wollen oder eben nicht).
    Der große Unterschied: In Diktaturen wird die Abänderung vom Staat oder Machthaber vorgenommen, in freien Gesellschaften von bestimmten Gruppen, die Miteinander konkurrieren und damit einen Ausgleich schaffen.

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