Niklas Götz
Was ist aus Litten nach dem Krieg geworden? Wie erinnerte sich die junge Bundesrepublik an einem Mann, der wie kein anderer für „Nicht alle Deutschen waren Nazis“ stehen könnte? Kurz gesagt: Überhaupt nicht! Aber warum? Erste Antworten im dritten Teil der Litten – Pentalogie.
Was ist aus Litten nach dem Krieg geworden? Wie erinnerte sich die junge Bundesrepublik an einem Mann, der wie kein anderer für „Nicht alle Deutschen waren Nazis“ stehen könnte? Kurz gesagt: Überhaupt nicht! Aber warum? Erste Antworten im dritten Teil der Litten – Pentalogie.
Nach
Kriegsende lag Deutschland in Ruinen – Zeit für einen Neuanfang und
Gelegenheit, vormals verbotene Geschichten zu erzählen. So bot sich die
Geschichte Littens geradezu an .
Deshalb
ist es auch bei einem so vorbildlichen Leben (siehe Teil II), wie es Hans
Litten führte, eklatant, dass es bis zur Wiedervereinigung kaum brauchbare
Biographien aus Westdeutschland gab.
Schließlich gab es ja auch Werke aus dem Ausland, von der DDR ganz zu
schweigen. Daraus wird, wie bereits oben erwähnt, auch ersichtlich, dass es
nicht an einem Mangel an Material liegen kann, ansonsten müsste es ja überhaupt
keine Biographien von ihm geben. Irgendetwas musste Autoren und Verlage,
Historiker und Juristen davon abgehalten haben, über ihn zu berichten.
Der
einzig sinnvolle Bereich, in dem es zu suchen gilt, um die gegen null
tendierende Rezeption Littens in Westdeutschland zu erklären, ist eine andere
Mentalität in der Bundesrepublik als in der DDR.
Deshalb
ist es sinnvoll zu betrachten, als wer Hans Litten innerhalb Westdeutschlands
galt.
Denn
wer damals seinen Namen hörte, assoziierte nicht Begriffe wie Gerechtigkeit und
Mut, sondern Kommunismus und Klassenkampf. Litten wurde vor allem als ein proletarischer
Anwalt gesehen, was fälschlicherweise mit einer kommunistischen Überzeugung
gleichgesetzt wurde. Gerade für die neu gegründete Bundesrepublik war das ein
Problem. Denn wie sollte sich eine neugeborene juristische Tradition auf einen
Mann berufen, der angeblich politisch der größten existenzbedrohenden Gefahr
des jungen Deutschland nahestand?
Schließlich
lief doch der westliche Teil Deutschlands jederzeit Gefahr, genauso wie
Ostdeutschland von der Sowjetunion überrollt zu werden. Denn diese war nicht
nur militärisch zu den NATO-Staaten, zu denen die BRD auch später zählen
sollte, ein Konkurrent, sondern auch ideologisch, was Westdeutschland mit einem
deutschen Gegenmodell im Besonderen zu spüren bekam. Ein weiteres wichtiges
Element ist aber auch die Konzeption der BRD als ein antiautoritärer Staat, was
nicht nur Antifaschismus, sondern auch Antikommunismus bedeutet. Besonders der
Konservatismus, der nach dem Dritten Reich seine traditionellen Vorbehalte
gegenüber der Demokratie, seinen Nationalismus und seine Nähe zum Sozialismus aufgeben
musste, fand im Antikommunismus ideologischen Ersatz für diese politischen
Konzepte. Geteilt wurde dies auch von der SPD. Bereits 1930 bezeichnete Kurt
Schumacher Kommunisten als „Rotlackierte Doppelausgaben der
Nationalsozialisten” (Scholz, Günther: Kurt Schumacher, Ullstein, 1990,
S. 68) und als „stehenden Heere der sowjetischen Außenpolitik”(Albrecht, Willy: Kurt Schumacher, Dietz Nachf., 1985, S.
25).
Dies wurde durch die Auflösung der Ost-SPD in der SED noch verstärkt.
Folge
waren zahlreiche Verbote von kommunistischen Organisationen und unzählige
Verfahren gegen des Kommunismus bezichtigte Personen geführt. Von 1951-58 waren
die Urteile gegen Kommunisten fast siebenmal so hoch wie gegen NS-Täter.
Angesichts
dieser Situation war eine Zurückhaltung gegenüber der Beschäftigung mit Hans
Litten nicht verwunderlich, wollte doch niemand in den Verdacht geraten, sich
mit einer Leitfigur des Marxismus in Deutschland zu beschäftigen oder gar ein
Anhänger desselben zu sein.
Diese
Interpretation des Lebens Littens ist natürlich falsch. Schließlich war er
persönlich unpolitisch, nie Anhänger einer Partei, erst recht nicht der 1956
verbotenen KPD, von der er sich links stehend betrachtete. Er war eher
Anarchist, jedoch gleichzeitig auch Pazifist. Ihn als kommunistisch zu bezeichnen
schließt auf inakzeptables Missverständnis oder gar Vorurteil, hauptsächlich
entstanden aus seinem Engagement für die „Rote Hilfe“, die ihn jedoch
letztendlich auch nicht mehr für Prozesse einsetzte, da ihr Verurteilungen der
Arbeiter und so entstehende Märtyrer lieber waren und die seinen Vorbehalt
gegenüber der KPD kritisierte.
Doch
selbst wenn dies erkannt wurde, war eine Beschäftigung mit Litten auch aufgrund
der ausschließlichen Inanspruchnahme des „Littenerbes“ seitens der DDR
problematisch, obwohl Littens juristische Erfolge genau genommen in Westberlin
stattfanden.
Ein
weiterer Punkt ist die Wahrnehmung Littens als Opfer des Dritten Reiches, und
dies in mehrfacher Hinsicht. Einerseits ist es möglich ihn als gescheiterten
Widerständler, als politisches Opfer und als Opfer des Holocausts (er war
schließlich Halbjude) zu sehen.
Damit
steht Hans Litten auch im Kontext der Erinnerungskultur der Bundesrepublik
Deutschlands.
Vor
allem Historiker versuchten, die deutsche Geschichte nicht zu „verdunkeln“,
aber auch auf die gute deutsche Tradition vor Hitler hinzuweisen. Litten stellt
dabei ein Brückenelement dar, da sein Handeln zwischen den Zeiten steht, was
eine Beschäftigung problematisch macht.
Noch
komplizierter war jedoch die Situation der Gesellschaft in der jungen Republik.
In der Öffentlichkeit herrschte Schweigen über das Dritte Reich, eine Person
wie Litten würde nur provozieren, ist er doch ein Symbol für den Holocaust, das
Scheitern der Demokratie und das Schweigen in Anbetracht von Verbrechen und
Ungerechtigkeit. Außerdem war man bestrebt angesichts des Kalten Krieges eine
gesellschaftliche Umwälzung zu vermeiden und strebte eine Politik der
Integration ehemaliger NS-Funktionseliten an. Damit begann auch der Versuch
einer Rechtfertigung und des allgemeinen Willens, sich von jeglicher Schuld zu
befreien. Hans Littens Schicksal würde diese Politik infrage stellen. Erst nach
1968 kam eine Welle der Aufarbeitung wirklich ins Rollen, doch bereits zu lange
wurde über Litten geschwiegen, sodass sich an dieser Situation bis zu den 80er
nur wenig ändern sollte. Zusätzlich erinnerten seine jüdischen Wurzeln noch
immer unangenehm an den deutschen Völkermord, sodass man sein Wirken und seine
Werte auf christlichen Humanismus zurückführen wollte, was das unangenehme
Thema umschiffen sollte.
Man
ignorierte diesen faszinierenden Menschen also, weil er symbolhaft für das
deutsche Trauma des Scheiterns der Demokratie, der Grausamkeit der
Hitlerdiktatur, der Spaltung Deutschlands zwischen den Nachkriegsideologien und
der politischen Bedrohung durch den Kommunismus stand.
Erst
kurz vor der Wiedervereinigung sollte Litten nicht mehr als Kommunist und Symbol
für Scham, Nazivergangenheit und Scheitern der ersten Demokratie auf deutschen
Boden gelten, sondern zum Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit werden, was zu
ersten Auseinandersetzungen mit ihm führte.
Die Hans-Litten Pentalogie:
1. Ein Einführung
2. Ein Leben für die Gerechtigkeit
3. Schamhaftes Schweigen in der BRD
4. Littenkult in der DDR
5. Auferstanden aus Ruinen
1. Ein Einführung
2. Ein Leben für die Gerechtigkeit
3. Schamhaftes Schweigen in der BRD
4. Littenkult in der DDR
5. Auferstanden aus Ruinen
Interessant! Behandelst du auch noch, wie Litten in der DDR gesehen wurde?
AntwortenLöschenJepp, am Sonntag kommt der Teil der Vergötterung und Verzerrung Littens in der DDR.
AntwortenLöschenWie ich bereits angekündigt hatte, musste in der DDR jedes Schulkind seine Biografie lernen. Hauptsächlich deshalb, weil er zum Helden der Roten Hilfe stilisiert wurde (die Rote Hilfe war ja, wie du schon weißt, ein Verein der kommunistischen Arbeiterführern vor Gericht geholfen hat. Es gibt sie übrigens immer noch, und sie ist rot wie eh und je: http://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Hilfe_%28Verein%29 ). Mehr noch: die DDR räumte ja mit all ihren Klassenfeinden auf, dazu gehörten auch fast alle Anwälte. Deshalb gründete sich auf Hans Litten die neue Tradition sozialistischer antifaschister Juristen.
Aber dazu mehr am Sonntag.
Ich kann euch aber versprechen: Der nächste Teil bietet einen ebenso tiefen Einblick in die Psychologie und Ideologie des geteilten Deutschlands wie dieser.
Übrigens: Was ich am erstaunlichsten bei der Recherche zu diesem Teil fand, war, dass die BRD genauso ideologisch und dogmatisch war wie die DDR. Es war eben nicht so, dass wir im Osten "engstirnige Kommunisten" an der Macht hatten und im Westen "vernünftige Leute". Im Gegenteil, im Westen wurde alles, was rot schien, radikal ausgemerzt - genauso wie in den USA, welche ja als Kontrast zur UdSSR unglaublich liberal und religiös wurden. Hans Litten wurde aus reiner Ideologie, aus reinem Antikommunismus und aus reiner Vergangenheitsblindheit aufgrund von Scham ignoriert.
Und dies völlig zu Unrecht, den er war nie Kommunist und glaubte stets an das Gute in Deutschland.
Kurz gesagt: Er war ein deutscher Held.