Julian Reith
Griechenland 2012: Menschen versammeln sich in Massen auf der Straße.
Pappfiguren Angela Merkels zeigen den Hitlergruß und haben eine
Hakenkreuzbinde am Oberarm. Die jungen Leute verbrennen deutsche
Flaggen.
Deutschalnd 2013: Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat der SPD bei
der Bundestagswahl im Herbst 2013, äußert sich öffentlich negativ
über den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten, indem er ihn
mit einem Clown vergleicht. Ein geplantes Treffen in Italien wird
daraufhin abgesagt.
Erste Assoziationen, die einem bei solchen Meldungen in den Sinn
kommen, sind wohl kaum „Harmonie“, „Freundschaft“ und
„besonderer europäischer Zusammenhalt“. Kein Wunder, bei den
aktuellen Konflikten zwischen Politikern, aber auch den Bevölkerungen
verschiedener europäischer Länder. Gerade bei Jugendlichen scheint
auch die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland wie ein erstaunlicher
Trend. Unter solchen Umständen klingt es doch schon paradox, die so
oft verwendeten Phrasen wie „das geeinte Europa“ oder „die
europäische Jugend“ auch nur auszusprechen. Eine ernstzunehmende
Fragestellung in diesem Zusammenhang ist die, ob diese sogenannte
„europäische Jugend“ fähig ist, die zukünftigen Probleme der
EU-Politik angemessen zu lösen oder wenigstens nicht schlimmer
werden zu lassen.
Umfragen belegen, dass nachkommende Generationen immer weniger
Interesse an europäischer Politik haben. Schon jetzt haben drei
Viertel der jugendlichen Deutschen eine gleichgültige oder sogar
ablehnende Haltung gegenüber der EU, wobei ein Mindestmaß an
Engagement und Interesse essentiell für das Zustandekommen einer
effektiven Europapolitik sind. Die EU ist ein Bestandteil des
Lehrplans in Sozialkunde in der Oberstufe, doch ergibt das im Bezug
auf das mangelnde Interesse keinen Sinn. Wenn ein Schüler durch den
Notendruck dazu gezwungen wird, bestimmte Dinge zu lernen, schreckt
das in der Regel mehr ab, als dass es Interesse schafft. Im
Allgemeinen sind Maßnahmen, hinter denen ein Zwang steht,
abschreckend und nicht interesseschaffend. Sinnvoller ist es, die
Begeisterung bei Jugendlichen durch attraktive freiwillige Aktionen
zu wecken, die die Interessen jugendlicher Menschen mit einem
politischen Zweck verknüpfen. Beispielsweise könnte man Reisen für
Jugendliche in europäische Hauptstädte oder europäische
Einrichtungen, wie das Parlament, organisieren, bei denen jeder auf
seine Kosten kommt und Jugendliche an die Politik herangeführt
werden. Da stehen die Parteien in der Verantwortung.
Für viele junge Menschen scheint die europäische Union – nicht
zuletzt durch die Medien – wie ein konfliktbeladenes Wrack voller
Probleme. Das ist auch nicht anders zu erwarten, wenn man jeden Tag
nebenbei im Radio von dieser oder jener Europakrise hört.
Das schreckt ab!
Welcher normale Mensch würde auf eine Zeitungsanzeige reagieren, die
wie folgt lautet:
„Mittelständisches Unternehmen sucht Manager – befinden uns in
einem Schuldenloch – Mitarbeiter sind demotiviert – bitte melden
[...]“? Schätzungsweise die Wenigsten.
Kurzum: Es sollte nicht so aussehen, als ob die EU den kommenden
Generationen Berge von Problemen hinterlässt, sondern die Vorteile
und Erfolge der EU sollten in den Medien ein deutlich höheres
Gewicht bekommen. Anderfalls ist eine starke Distanzierung junger
Menschen von der EU vorprogrammiert.
Apropos vorprogrammiert: Dass der Euro auf eine Krise zusteuert –
Stichwort Griechenland – war schon längere Zeit vorraussehbar, wie
auch Bundespräsident Joachim Gauck in einer Rede 2013 anklingen
ließ. Er verwendete das aussagekräftige Wort „Konstruktionsfehler“,
wobei wir am nächsten Punkt angelangt sind. Politiker der EU müssen
ihre Fehler reduzieren. Zu viele fragwürdige Entscheidungen wurden
getroffen, welche sich hinterher als eindeutig falsch herausgestellt
haben. An Fehlentscheidungen haben Politiker der EU gemeinsam auf
mittelfristige Sicht viel zu knabbern, was der notdürftig
eingerichtete Euro-Rettungsmechanismus (ESM) zeigt. Es ist natürlich
schwer, einen allgemeinen Lösungsvorschlag dafür zu äußern, zumal
Fehler, die schon begangen wurden, nicht mehr rückgängig gemacht
werden können. Trotzdem mögen die offensichtlichen
Fehlentscheidungen ein weiterer Grund sein, warum Jugendliche eine
ablehnende Haltung gegenüber der EU haben.
Letzten Endes bleibt noch der schon angeklungene Aspekt der
schwierigen Vereinbarkeit der Jugendlichen aus verschiedenen
europäischen Nationen. Jochen Bittner, ein Journalist der ZEIT,
bezeichnet dieses Problem treffend mit dem Begriff der
„Zwangsharmonisierung“. Das beinhaltet zum Beispiel die
schwierige Vereinbarkeit der verschiedenen kulturellen Unterschiede
zwischen europäischen Nationen. Großstädte mit
„Multi-Kulti“-Bevölkerung teilen sich in ghettoähnliche
Stadtteile, die Menschen versuchen einander zu meiden. Das klingt
stark generalisierend, ist jedoch als allgemeine Tendenz nicht zu
leugnen. Die unter Anderen von Winston Churchill geforderten „United
States of Europe“ sind also kurz- und mittelfristig gesehen
schlicht und ergreifend nicht realistisch und würden eine noch
größere Uneinigkeit in der jetzt schon spannungsgeladenen
europäischen Bevölkerung auslösen. Zunächst sollte die Stabilität
der EU gründlich aufpoliert werden, das Ziel eines Bundesstaats
währenddessen in die Ferne gerückt werden, da ein solcher ohne eine
geeinte Bevölkerung nicht möglich ist.
Es kommt also Einiges auf die „europäische Jugend“ zu, es liegt
jedoch auch in den Händen der aktuellen Politiker, der Medien und
der Parteien, Engagement bei Jugendlichen hervorzurufen und sie für
die Zukunft der europäischen Politik zu motivieren, stark zu machen
und zu vereinen.
„Europa ist ein einzigartiger Motor mit 27 Zylindern. Wenn die
alle im Takt laufen, dann sind die wahnsinnig stark und mächtig“ -
Jochen Bittner, Journalist der ZEIT.
Doch das „Wenn“ ist entscheindend.
Die "United States of Europe" würde ich nicht gleich als Illusion abwerten. Denn gerade das ist doch ein Problem Europas, und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits gibt es keine Antwort auf die Frage "Quo vadis, Europa?" - denn das Endziel ist unbekannt - andererseits genausowenig auf die Frage "Who do I have to call if I want to talk to Europe?" - denn Europa ist immernoch ein loser Staatenbund.
AntwortenLöschenMit einem gemeinsamen Ziel, einer gemeinsamen Idee - abgesehen vom Frieden, den mit dem Verlust der Kriegsgeneration sowieso niemand mehr zu schätzen weiß, und abgesehen von der Kulturgemeinschaft, die mittlerweile mit dem Internet ebenfalls selbstverständlich wird - die alle vereint, ein Traum, ein Ziel, wie einst die Vereinigung Deutschlands, so muss auch die Vereinigung Europas gefordert werden.
Dass dies ungleich schwieriger ist, das ist auch mir bewusst. Aber betrachten wir nur mal Kerneuropa (BeNeLux, Österreich, D, F) so sind die kulturellen Unterschiede und die kleinen Sticheleien doch minimal, einer Vereinigung steht eigentlich nur noch der Nationalstolz und einige europafeindliche Bevölkerungsschichten im Weg.
Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der jetzigen Jugend, den Weg zur Vereinigung zu ebnen. Wir müssen jetzt die Grundlagen schaffen, um in einigen Jahrzehnten sagen zu können: Wir haben diesen Kontinent vereinigt, wir haben die Europäische Union zu ihrer Bestimmung geführt, wir haben aus dem krisengeschüttelten losen Geflecht kleiner, stolzer Nationalstaaten eine föderale, europäische Nation geschaffen.
Ohne ein bisschen Idealismus geht das nicht. Denn Idealismus erfüllt sich selbst. Wenn alle in Europa, trotz anderslautender Fakten, an die USE glauben, so werden sich auch die Gegebenheiten ändern und die Vereinigung ermöglicht.
Bei Gelegenheit sollte ich dazu mal einen Text schreiben.
Wenn man heute 100 Jugendlichen die Frage stellt: Warum macht es Sinn sich für Europa zu engagieren, dann werden 90 keine Antwort haben. Bei Erwachsenen ist die Quote definitiv nicht besser.
AntwortenLöschenHinter dem Begriff Europa steht aktuell keine Vision.
Erinnern wir uns an 1848 und die Paulskirche. Damals gab es eine Vision für ein einiges Deutschland. Ähnlich war die Situation nach dem 2. Weltkrieg. Es gab eine Vision für ein geeintes Europa. Ohne Vision hätte es keine Motivation für ein Engagement gegeben. Gerade 1848 haben viele Menschen für Ihre Vision sogar mit dem Leben bezahlt.
Heute ist die Situation anders, es gibt keine Vision von Europa. Ohne eine verankerte Vision gibt es in der Bevölkerung kein oder auch kaum Verständnis für die Notwendigkeit von finanziellen oder politischen Belastungen die uns zum Beispiel mit der Finanzkrise auferlegt werden.
Hier sind in der Tat Politiker aber auch Medien und Intellektuelle gefordert, den Nutzen und die Chance von Europa wieder zu unterstreichen.
Aber auch jeder vernünftige Bürger sollte die Vorteile und die Vision von Europa an seine Mitbürger transportieren.
Genau das habe ich gefordert: Die Vision muss hergestellt und verbreitet werden. Ohne Vision keine Vereinigung.
AntwortenLöschenErstaunlich ist jedoch: die großen politischen Parteien in Deutschland sind allgemein europafreundlicher als ihre Wähler.