Sonntag, 6. Oktober 2013

Niklas Götz



Der zweite Teil der Litten - Pentalogie skizziert ein Leben, wie es wohl nur einmal gab: Der furchtlose  Retter der von den Nazis verfolgten Sozialisten nimmt sich im KZ das Leben. Trotz dieser für die Zeit einmaligen Heldentaten wurde er vergessen. In seinem Leben finden sich erste Hinweise.


Hans Litten wurde als Sohn eines konservativ-demokratiefeindlichen und getauften Juden, Fritz Litten, der als Jurist und Lehrer Karriere machte, und einer bürgerlich-aufgeschlossenen Mutter, Irmgard Litten, geboren, die ihn aufgrund des Krieges erzog und sein äußerst starkes Gerechtigkeitsgefühl, sowie seine sozialistisch-pazifistische Haltung förderte. Er war Teil einer jüdischen Jugendgruppe, genannt „Schwarzer Haufen“, in der er sich mit den verschiedensten Denkrichtungen auseinandersetzte und sich seiner Religion zuwandte. Vom Vater zum Jurastudium gezwungen, absolvierte er es dennoch mit großem Erfolg, beobachtete aber währenddessen auch den Verfall der Weimarer Republik und engagierte sich im sozialen Bereich.

Nach dem Studium machte Litten sich einen Namen als Strafverteidiger, besonders für Opfer von Nationalsozialisten. Er bewahrte aber stets seine politische Unabhängigkeit, war kein Kommunist, sah sich selbst eher als links von der KPD stehenden Anarchisten und proletarischen Anwalt. Des weiteren war er nie parteipolitisch aktiv. Kurz darauf arbeitete er auch für die „Rote Hilfe“, eine Organisation, die Arbeitern, unter anderem Rechtsbeistand bot und bis Mitte 1929 bereits 43.000 Menschen geholfen hatte.

In der Spätphase der Weimarer Republik kam es häufig zu Übergriffen von Rechts auf kommunistische Arbeiter. Da die Justiz jedoch meist „auf dem rechten Auge blind“ war, wurden die sich aus Notwehr verteidigenden Arbeiter oft für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht und deutlich häufiger und schwerer bestraft als z. B. Anhänger der NSDAP. Die Lage verschlimmerte sich Zusehens, sodass die „Rote Hilfe“ von August bis Dezember 1932 869 Prozesse gegen 3.640 Arbeiter und Antifaschisten zählte, in deren Verlauf nur 604 freigesprochen, einer zum Tode und 3.035 zu insgesamt 2.318 Jahren Haftstrafe verurteilt worden waren. Gleichzeitig gab es nur 263 Prozesse gegen Faschisten, die zu insgesamt 422 Jahren Freiheitsentzug führten. Die ebenfalls fünf verhängten Todesstrafen wurden nie ausgeführt.
Viele Juristen waren der „Roten Hilfe“ feindselig gegenübergestellt und zettelten regelmäßig Prozesse gegen Arbeiter an.

Angesichts dessen forderten die Kommunisten Litten auf, seine Verhandlungen zu Schauprozessen zu machen, um auf das Unrecht hinzuweisen. Er weigerte sich jedoch, da ihm nur das Wohlergehen seiner Mandanten wichtig war, wofür er beinahe übermenschlich arbeitete.
Drei große Gerichtsverfahren sollten nachhaltig in Erinnerung bleiben und Littens Leben entscheidend verändern. Der Erste war der sogenannte „Edenpalastprozess“ 1931, bei dem es um die Erstürmung eines Tanzlokals durch die SA, namentlich des
 „Sturm 33“, einer besonders berüchtigten Teilgruppe mit anschließender Schießerei auf die anwesenden Arbeiter ging. Im Vorfeld hatte Hitler bei einer anderen Verhandlung betont, die blutigen NS-Parolen wären nur metaphorisch gemeint, wodurch er den „Legalitätseid“ leistete.
Litten als Nebenkläger vermutete, dass die Parteiführung der NSDAP Kenntnis vom Rollkommando hatte und rief Hitler deswegen in den Zeugenstand, in welchen er Hitler taktisch klug dazu brachte, sich von Goebbels und seiner Propaganda immer wieder zu distanzieren und dann dessen Verfassungstreue zu beschwören, wozu Litten zwei Stunden lang Hitler und Goebbels zitierte, was zu einem, aus heutiger Sicht, Meineid Hitlers führte. Dieser musste immer wieder beschwören, dass die NSDAP mit legalen Mitteln an die Macht kommen wolle. Litten hingegen fand heraus, dass Goebbels, Gauleiter von Berlin, in der Broschüre „Bekenntnis zu Illegalität“, welche vom Parteiverlag übernommen wurde, forderte, Gegner zu Brei zu zerstampfen und das Parlament zu sprengen. Außerdem ergaben Littens Recherchen, dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Spenden aus der Schwerindustrie erhielt und damit eine Partei des Kapitals war. Damit bewirkte Litten eine Entlarvung der Demagogie. Hitler wirkte wenig überzeugend, für ihn war es eine Blamage, die er nicht vergessen sollte. Die Angeklagten kamen jedoch mit skandalösen zweieinhalb Jahren Gefängnis oder Freispruch davon.

Ein Jahr später kam es zum Felseneckprozess, in dem es wieder um bewaffnete Übergriffe von SA-Leuten auf Kommunisten und Sozialdemokraten ging, diesmal in einer Arbeitersiedelung, in deren Verlauf ein SA-Mann und ein Kommunist getötet wurden. Da wieder die Arbeiter beschuldigt wurden, wollte der unbequeme Litten die Verteidigung übernehmen, wurde jedoch ohne Grund ausgeschlossen. Kurz nachdem dieser Beschluss aufgehoben wurde kam es zu einem erneuten Ausschluss, weil Litten angeblich die Zeugen beeinflusst und Prozesse mit parteipolitischer Propaganda aufgeladen hätte. Daraufhin kam es zu einem Aufruhr in der Anwaltschaft, sogar von Gegnern Littens, jedoch ohne Konsequenzen.

Mittlerweile stellte die NSDAP für die konservativen Kräfte einen ernst zu nehmenden Verhandlungspartner dar. Sie war selbst nach dem Verlust von zwei Millionen Stimmen stärkste Kraft im Parlament, die KPD hielt nur halb so viele Mandate. Die am Boden liegende Weimarer Republik wurde seit Monaten über Notstandsverordnungen regiert.
Durch ein Amnestiegesetz wurden die Angeklagten letztendlich ohne Littens Hilfe freigelassen, ihre offensichtliche Unschuld wurde nie richterlich festgestellt. Die wichtigste Konsequenz jedoch war eine immer stärkere Hetze seitens der NSDAP gegen Litten, mit Parolen wie „Rot-Mord-Verteidiger“( Von Brück, Carlheinz. Ein Mann, der Hitler in die Enge trieb. Berlin (Ost) 1975, S. 94),„Legt dem Anarchisten endlich das unsaubere Handwerk“(König, Stefan. Vom Dienst am Recht: Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus. Berlin; New York 1987, S. 19.).

Zur gleichen Zeit lief der Röntgenstraßenprozess, in dem der proletarische Anwalt zum letzten Mal der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen konnte. Am 29. August überfielen SA-Leute eine vorbeilaufende Gruppe Arbeiter vor einem Lokal, wobei zwei von ihnen verletzt und einer getötet wurde. Die kommunistischen Arbeiter wurden wegen Totschlags aus politischen Motiven angeklagt, auf dem aufgrund einer Notstandsverordnung der Tod stand.
Hans Litten konnte nach ausführlicher Recherche feststellen, dass die Nationalsozialisten gelogen und ihre Männer selbst an- bzw. erschossen hatten. Die Angeklagten wurden freigesprochen.

Als am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, jubelten die Massen, unter ihnen auch viele Juristen. Für andere war jedoch eingetreten, was sie schon lange befürchteten.
Viele Freunde Littens hatten ihn schon seit seiner Konfrontation mit Hitler zur Emigration überreden wollen. Doch er war noch immer der Arbeiterschaft verbunden: „Die Millionen Arbeiter können nicht heraus, also muß ich auch hier bleiben“ (Litten, Irmgard. Eine Mutter kämpft gegen Hitler. Rudolstadt 1947, S. 25)
Bereits vier Wochen später kam es zum Reichstagsbrand, der den Nationalsozialisten die Möglichkeit gab, mit Hilfe der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ die Grundrechte außer Kraft zu setzen und gegen die KPD und SPD, den größten konkurrierenden Parteien, vorzugehen. Im Zuge dessen wurde Hans Litten noch in der gleichen Nacht in Schutzhaft genommen, zusammen mit kommunistischen Abgeordneten wie Fritz Emmerich, Ottomar Geschke und Willi Kasper, aber auch mit Intellektuellen und Schriftstellern wie Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Erich Baron und Felix Rosenheim. Anfangs wurde ihm noch der Kontakt zur Frau seines Freundes Max Fürst, Margot Fürst, erlaubt, die verzweifelt versuchte, einen Anwalt zu finden, der die Kanzlei fortführt und bei der nun möglicherweise anstehenden Verhandlung gegen Litten die Verteidigung übernimmt. Doch alle, die gefragt wurden, hatten berechtigterweise zu viel Angst oder sahen sich chancenlos.

An dieser Stelle setzte auch der Bericht Irmgard Littens ein, die nun, da sie erkannte, dass ihr Sohn dem Hohn und Spott der Nationalsozialisten ausgeliefert war, alle ihre Königsberger Verbindungen mobilisierte, um ihm zu helfen. Unter den angesprochenen Personen fanden sich Reichswehrminister von Blomberg, Reichsbischof Ludwig Müller, Reichsjustizminister Gürtner und Staatssekretär Freisler, wobei letzterer berichtete: „Niemand wird etwas für Litten tun können. Hitler lief rot an, als er nur den Namen hörte“ (I. Litten, S. 80). Auch Prinz Wilhelm setzte sich für Litten ein, doch Hitler brüllte ihn nur an: „Jeder, der sich für Litten einsetzt, kommt in ein Konzentrationslager, selbst wenn Sie das wären“ (I. Litten, S. 81).
Von Irmgard Litten erfahren wir außerdem, dass „(d)ie anständigen (ihrer Bekannten) … einflusslos (waren), die meisten von ihnen selbst gefährdet. Von den anderen, die schnell, bevor es zu spät war, zu den Nazis übergelaufen waren, war keine Hilfe zu erwarten“ (I. Litten, S. 35). 
 Die größte ihrer Aktionen war ein von ihr organisierter Appell von über 100 britischen Juristen und Politikern an Reichspräsident Hindenburg Ende 1935, jedoch ohne Erfolg. Außenminister Ribbentrop antwortete nur, Litten stelle einen „geistigen Anführer des Kommunismus“ in Deutschland dar und sei deshalb eine Gefahr.

Mittlerweile wurde Litten in das KZ Sonnenburg eingeliefert, wo ihn der blanke Hass der Hitleranhänger traf, der seit dem Edenpalastprozess ständig angewachsen war. Er wurde so schwer misshandelt, dass selbst seinen Mitgefangenen der Kontakt mit ihm verboten wurde. Mit schweren Beinverletzungen, einer Kieferfraktur, Knochenhautentzündung, herausgebrochenen Zähnen, einem verletzten Mittelohr und einer Augenverletzung, die nie mehr heilen sollte, sah Litten bereits nach kurzer Haftzeit dem Tod ins Auge. Seine Mutter erreichte eine Rückversetzung nach Spandau, wo er jedoch bald zum Felseneckprozess befragt wurde. Unter schwerster Folter gestand er gewusst zu haben, dass einer der Männer, die er verteidigt hätte, der Mörder des SA-Manns gewesen wäre. Dies wurde zur Propaganda genutzt, um Litten in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und das Verfahren gegen die linken Arbeiter umzudrehen. Kurz darauf widerrief Litten das Geständnis in einem Brief an die Gestapo, mit der Begründung, dass die Aussage unter Zwang zustande gekommen war. Da er wusste, was seine Bewacher mit ihm tun würde, bekämen sie ihn nur noch einmal in die Finger, beging er einen Selbstmordversuch.

Als man ihn wieder vernehmen wollte, fand man ihn halbtot. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Krankenhaus kam er ins Zuchthaus Brandenburg, 1934 dann ins Moorlager im Emsland und kurz darauf ins Zuchthaus Lichtenburg. Dort blieb er ungefähr drei Jahre und fand, schwer verkrüppelt, in der Buchbinderei etwas Ruhe, indem er sich der mittelalterlichen Literatur und der Weiterbildung seiner Mithäftlinge widmete. Diese schätzten ihn auch wegen seinem Mut, seiner inneren Stärke und seines ungebrochenen Geistes. Ein Beweis dafür ist, dass er bei einem Nazifest vor seinen Bewachern das revolutionäre Gedicht „Die Gedanken sind frei“ rezitierte, und er hatte viel Glück, dass keine der Wachen den Inhalt vollends begriff.
Im Sommer wurde er zum KZ Buchenwald verlegt. Es war ein kurzer Aufenthalt, den schon im Oktober 1937 wurde er ins KZ Dachau eingeliefert. Er gelangte in den berüchtigten Judenblock, wo man ihn in den Selbstmord treiben sollte. 

„Wegen Verbreitung von Greuelnachrichten über das Konzentrationslager Dachau durch die Juden im Ausland werden wir hier isoliert und haben bis auf weiteres Postsperre. Hans Litten.“ Diesen Brief musste Litten, wie alle Häftlinge Ende 1937 nach Hause schreiben.  
Nach fünf Jahren hatte Litten keine Kraft mehr. In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1938 wurde er von Mithäftlingen erhängt aufgefunden. Seine Mutter erfuhr erst Monate später von Mitgefangenen davon, die jedoch aufgrund von Drohungen nicht vom ganzen Terror berichten durften. Littens Freund Alfred Dreifuß berichtete:
„Einen kleinen Zettel hinterließ er, nur ein paar Worte des Abschieds und der Versicherung, daß er aus eigenem Entschluss in den Tod gegangen wäre ..."
Litten wurde fünf Jahre lang in verschiedenen KZs in den Tod getrieben; genauso lang kämpfte er für eine gerechte Behandlung der Arbeiter und gegen den faschistischen Terror. Sein Kampf war genauso erbarmungslos, wie er gegenüber sich selbst. Er ist ein herausragendes Beispiel für eine andere Art der Juristen der Weimarer Zeit, die nicht nur klug und vorteilhaft zu argumentieren wussten, sondern sich auch in der Tradition der abendländisch–christlichen Werte der Freiheit und Gerechtigkeit sahen.

Die Hans-Litten Pentalogie:
1. Ein Einführung
2. Ein Leben für die Gerechtigkeit
3. Schamhaftes Schweigen in der BRD
4. Littenkult in der DDR
5. Auferstanden aus Ruinen
 

2 Kommentare:

  1. Beeindruckendes Leben! Echt erstaunlich, dass man im Geschichtsunterricht überhaupt nichts über Litten erfährt.

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  2. Finde ich auch! Echt total schade, dass Viele oft nicht einmal den Namen Hans Litten kennen.

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