Niklas Götz
Der zweite Teil der Litten - Pentalogie
skizziert ein Leben, wie es wohl nur einmal gab: Der furchtlose Retter der von den Nazis verfolgten Sozialisten
nimmt sich im KZ das Leben. Trotz dieser für die Zeit einmaligen Heldentaten
wurde er vergessen. In seinem Leben finden sich erste Hinweise.
Hans Litten wurde als Sohn
eines konservativ-demokratiefeindlichen und getauften Juden, Fritz Litten, der
als Jurist und Lehrer Karriere machte, und einer bürgerlich-aufgeschlossenen
Mutter, Irmgard Litten, geboren, die ihn aufgrund des Krieges erzog und sein
äußerst starkes Gerechtigkeitsgefühl, sowie seine sozialistisch-pazifistische
Haltung förderte. Er war Teil einer jüdischen Jugendgruppe, genannt „Schwarzer
Haufen“, in der er sich mit den verschiedensten Denkrichtungen
auseinandersetzte und sich seiner Religion zuwandte. Vom Vater zum Jurastudium
gezwungen, absolvierte er es dennoch mit großem Erfolg, beobachtete aber
währenddessen auch den Verfall der Weimarer Republik und engagierte sich im sozialen
Bereich.
Nach dem Studium machte Litten sich einen Namen als
Strafverteidiger, besonders für Opfer von Nationalsozialisten. Er bewahrte aber
stets seine politische Unabhängigkeit, war kein Kommunist, sah sich selbst eher
als links von der KPD stehenden Anarchisten und
proletarischen Anwalt. Des weiteren war er nie
parteipolitisch aktiv. Kurz darauf arbeitete er auch für die „Rote Hilfe“, eine
Organisation, die Arbeitern, unter anderem Rechtsbeistand bot und bis Mitte
1929 bereits 43.000 Menschen geholfen hatte.
In der Spätphase der
Weimarer Republik kam es häufig zu Übergriffen von Rechts auf kommunistische
Arbeiter. Da die Justiz jedoch meist „auf dem rechten Auge blind“ war, wurden
die sich aus Notwehr verteidigenden Arbeiter oft für die Ausschreitungen
verantwortlich gemacht und deutlich häufiger und schwerer bestraft als z. B.
Anhänger der NSDAP. Die Lage verschlimmerte sich Zusehens, sodass die „Rote
Hilfe“ von August bis Dezember 1932 869 Prozesse gegen 3.640 Arbeiter und
Antifaschisten zählte, in deren Verlauf nur 604 freigesprochen, einer zum Tode
und 3.035 zu insgesamt 2.318 Jahren Haftstrafe verurteilt worden waren.
Gleichzeitig gab es nur 263 Prozesse gegen Faschisten, die zu insgesamt 422
Jahren Freiheitsentzug führten. Die ebenfalls fünf verhängten Todesstrafen
wurden nie ausgeführt.
Viele Juristen waren der
„Roten Hilfe“ feindselig gegenübergestellt und zettelten regelmäßig Prozesse
gegen Arbeiter an.
Angesichts dessen
forderten die Kommunisten Litten auf, seine Verhandlungen zu Schauprozessen zu
machen, um auf das Unrecht hinzuweisen. Er weigerte sich jedoch, da ihm nur das
Wohlergehen seiner Mandanten wichtig war, wofür er beinahe übermenschlich
arbeitete.
Drei große
Gerichtsverfahren sollten nachhaltig in Erinnerung bleiben und Littens Leben
entscheidend verändern. Der Erste war der sogenannte „Edenpalastprozess“ 1931,
bei dem es um die Erstürmung eines Tanzlokals durch die SA, namentlich des
„Sturm 33“, einer besonders berüchtigten
Teilgruppe mit anschließender Schießerei auf die anwesenden Arbeiter ging. Im
Vorfeld hatte Hitler bei einer anderen Verhandlung betont, die blutigen
NS-Parolen wären nur metaphorisch gemeint, wodurch er den „Legalitätseid“
leistete.
Litten als Nebenkläger vermutete,
dass die Parteiführung der NSDAP Kenntnis vom Rollkommando hatte und rief
Hitler deswegen in den Zeugenstand, in welchen er Hitler taktisch klug dazu
brachte, sich von Goebbels und seiner Propaganda immer wieder zu distanzieren
und dann dessen Verfassungstreue zu beschwören, wozu Litten zwei Stunden lang
Hitler und Goebbels zitierte, was zu einem, aus heutiger Sicht, Meineid Hitlers
führte. Dieser musste immer wieder beschwören, dass die NSDAP mit legalen
Mitteln an die Macht kommen wolle. Litten hingegen fand heraus, dass Goebbels,
Gauleiter von Berlin, in der Broschüre „Bekenntnis zu Illegalität“, welche vom
Parteiverlag übernommen wurde, forderte, Gegner zu Brei zu zerstampfen und das
Parlament zu sprengen. Außerdem ergaben Littens Recherchen, dass die
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Spenden aus der Schwerindustrie
erhielt und damit eine Partei des Kapitals war. Damit bewirkte Litten eine
Entlarvung der Demagogie. Hitler wirkte wenig überzeugend, für ihn war es eine
Blamage, die er nicht vergessen sollte. Die Angeklagten kamen jedoch mit
skandalösen zweieinhalb Jahren Gefängnis oder Freispruch davon.
Ein Jahr später kam es zum
Felseneckprozess, in dem es wieder um bewaffnete Übergriffe von SA-Leuten auf
Kommunisten und Sozialdemokraten ging, diesmal in einer Arbeitersiedelung, in
deren Verlauf ein SA-Mann und ein Kommunist getötet wurden. Da wieder die
Arbeiter beschuldigt wurden, wollte der unbequeme Litten die Verteidigung
übernehmen, wurde jedoch ohne Grund ausgeschlossen. Kurz nachdem dieser
Beschluss aufgehoben wurde kam es zu einem erneuten Ausschluss, weil Litten
angeblich die Zeugen beeinflusst und Prozesse mit parteipolitischer Propaganda
aufgeladen hätte. Daraufhin kam es zu einem Aufruhr in der Anwaltschaft, sogar
von Gegnern Littens, jedoch ohne Konsequenzen.
Mittlerweile stellte die
NSDAP für die konservativen Kräfte einen ernst zu nehmenden Verhandlungspartner
dar. Sie war selbst nach dem Verlust von zwei Millionen Stimmen stärkste Kraft
im Parlament, die KPD hielt nur halb so viele Mandate. Die am Boden liegende
Weimarer Republik wurde seit Monaten über Notstandsverordnungen regiert.
Durch ein Amnestiegesetz wurden
die Angeklagten letztendlich ohne Littens Hilfe freigelassen, ihre
offensichtliche Unschuld wurde nie richterlich festgestellt. Die wichtigste
Konsequenz jedoch war eine immer stärkere Hetze seitens der NSDAP gegen Litten,
mit Parolen wie „Rot-Mord-Verteidiger“( Von Brück, Carlheinz. Ein Mann, der Hitler in die Enge trieb. Berlin (Ost) 1975, S. 94),„Legt
dem Anarchisten endlich das unsaubere Handwerk“(König, Stefan. Vom
Dienst am Recht: Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus. Berlin; New York 1987, S. 19.).
Zur gleichen Zeit lief der
Röntgenstraßenprozess, in dem der proletarische Anwalt zum letzten Mal der
Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen konnte. Am 29. August überfielen SA-Leute
eine vorbeilaufende Gruppe Arbeiter vor einem Lokal, wobei zwei von ihnen
verletzt und einer getötet wurde. Die kommunistischen Arbeiter wurden wegen
Totschlags aus politischen Motiven angeklagt, auf dem aufgrund einer
Notstandsverordnung der Tod stand.
Hans Litten konnte nach
ausführlicher Recherche feststellen, dass die Nationalsozialisten gelogen und
ihre Männer selbst an- bzw. erschossen hatten. Die Angeklagten wurden
freigesprochen.
Als am 30. Januar
1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, jubelten die Massen, unter ihnen
auch viele Juristen. Für andere war jedoch eingetreten, was sie schon lange
befürchteten.
Viele Freunde Littens
hatten ihn schon seit seiner Konfrontation mit Hitler zur Emigration überreden
wollen. Doch er war noch immer der Arbeiterschaft verbunden: „Die Millionen
Arbeiter können nicht heraus, also muß ich auch hier bleiben“
(Litten, Irmgard. Eine Mutter kämpft
gegen Hitler. Rudolstadt 1947, S. 25)
Bereits vier Wochen später
kam es zum Reichstagsbrand, der den Nationalsozialisten die Möglichkeit gab,
mit Hilfe der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ die Grundrechte außer
Kraft zu setzen und gegen die KPD und SPD, den größten konkurrierenden
Parteien, vorzugehen. Im Zuge dessen wurde Hans Litten noch in der gleichen
Nacht in Schutzhaft genommen, zusammen mit kommunistischen Abgeordneten wie Fritz
Emmerich, Ottomar Geschke und Willi Kasper, aber auch mit Intellektuellen und
Schriftstellern wie Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Erich Baron und Felix
Rosenheim. Anfangs wurde ihm noch der Kontakt zur Frau seines Freundes Max
Fürst, Margot Fürst, erlaubt, die verzweifelt versuchte, einen Anwalt zu finden,
der die Kanzlei fortführt und bei der nun möglicherweise anstehenden
Verhandlung gegen Litten die Verteidigung übernimmt. Doch alle, die gefragt
wurden, hatten berechtigterweise zu viel Angst oder sahen sich chancenlos.
An dieser Stelle setzte
auch der Bericht Irmgard Littens ein, die nun, da sie erkannte, dass ihr Sohn
dem Hohn und Spott der Nationalsozialisten ausgeliefert war, alle ihre
Königsberger Verbindungen mobilisierte, um ihm zu helfen. Unter den
angesprochenen Personen fanden sich Reichswehrminister von Blomberg, Reichsbischof
Ludwig Müller, Reichsjustizminister Gürtner und Staatssekretär Freisler, wobei letzterer berichtete: „Niemand
wird etwas für Litten tun können. Hitler lief rot an, als er nur den Namen
hörte“ (I. Litten, S. 80). Auch Prinz Wilhelm setzte sich
für Litten ein, doch Hitler brüllte ihn nur an: „Jeder, der sich für Litten
einsetzt, kommt in ein Konzentrationslager, selbst wenn Sie das wären“ (I. Litten, S. 81).
Von
Irmgard Litten erfahren wir außerdem, dass „(d)ie anständigen (ihrer
Bekannten) … einflusslos (waren), die meisten von ihnen selbst gefährdet. Von
den anderen, die schnell, bevor es zu spät war, zu den Nazis übergelaufen
waren, war keine Hilfe zu erwarten“ (I. Litten, S. 35).
Die
größte ihrer Aktionen war ein von ihr organisierter Appell von über 100
britischen Juristen und Politikern an Reichspräsident Hindenburg Ende 1935,
jedoch ohne Erfolg. Außenminister Ribbentrop antwortete nur, Litten stelle
einen „geistigen Anführer
des Kommunismus“ in Deutschland dar und sei deshalb eine Gefahr.
Mittlerweile
wurde Litten in das KZ Sonnenburg eingeliefert, wo ihn der blanke Hass der
Hitleranhänger traf, der seit dem Edenpalastprozess ständig angewachsen war. Er
wurde so schwer misshandelt, dass selbst seinen Mitgefangenen der Kontakt mit
ihm verboten wurde. Mit schweren Beinverletzungen, einer Kieferfraktur,
Knochenhautentzündung, herausgebrochenen Zähnen, einem verletzten Mittelohr und
einer Augenverletzung, die nie mehr heilen sollte, sah
Litten bereits nach kurzer Haftzeit dem Tod ins Auge. Seine Mutter erreichte
eine Rückversetzung nach Spandau, wo er jedoch bald zum Felseneckprozess
befragt wurde. Unter schwerster Folter gestand er gewusst zu haben, dass einer
der Männer, die er verteidigt hätte, der Mörder des SA-Manns gewesen wäre. Dies
wurde zur Propaganda genutzt, um Litten in der Öffentlichkeit zu diskreditieren
und das Verfahren gegen die linken Arbeiter umzudrehen. Kurz darauf widerrief
Litten das Geständnis in einem Brief an die Gestapo, mit der Begründung, dass
die Aussage unter Zwang zustande gekommen war. Da er wusste, was seine Bewacher
mit ihm tun würde, bekämen sie ihn nur noch einmal in die Finger, beging er
einen Selbstmordversuch.
Als
man ihn wieder vernehmen wollte, fand man ihn halbtot. Nach einem kurzen
Aufenthalt in einem Krankenhaus kam er ins Zuchthaus Brandenburg, 1934 dann ins
Moorlager im Emsland und kurz darauf ins Zuchthaus Lichtenburg. Dort blieb er
ungefähr drei Jahre und fand, schwer verkrüppelt, in der Buchbinderei etwas
Ruhe, indem er sich der mittelalterlichen Literatur und der Weiterbildung
seiner Mithäftlinge widmete. Diese schätzten ihn auch wegen seinem Mut, seiner
inneren Stärke und seines ungebrochenen Geistes. Ein Beweis dafür ist, dass er
bei einem Nazifest vor seinen Bewachern das revolutionäre Gedicht „Die Gedanken
sind frei“ rezitierte, und er hatte viel Glück, dass keine der Wachen den
Inhalt vollends begriff.
Im
Sommer wurde er zum KZ Buchenwald verlegt. Es war ein kurzer Aufenthalt, den
schon im Oktober 1937 wurde er ins KZ Dachau eingeliefert. Er gelangte in den
berüchtigten Judenblock, wo man ihn in den Selbstmord treiben sollte.
„Wegen
Verbreitung von Greuelnachrichten über das Konzentrationslager Dachau durch die
Juden im Ausland werden wir hier isoliert und haben bis auf weiteres
Postsperre. Hans Litten.“ Diesen Brief musste Litten, wie alle Häftlinge
Ende 1937 nach Hause schreiben.
Nach
fünf Jahren hatte Litten keine Kraft mehr. In der Nacht vom 4. auf den 5.
Februar 1938 wurde er von Mithäftlingen erhängt aufgefunden. Seine Mutter
erfuhr erst Monate später von Mitgefangenen davon, die jedoch aufgrund von
Drohungen nicht vom ganzen Terror berichten durften. Littens Freund Alfred
Dreifuß berichtete:
„Einen
kleinen Zettel hinterließ er, nur ein paar Worte des Abschieds und der
Versicherung, daß er aus eigenem Entschluss in den Tod gegangen wäre ..."
Litten
wurde fünf Jahre lang in verschiedenen KZs in den Tod getrieben; genauso lang
kämpfte er für eine gerechte Behandlung der Arbeiter und gegen den
faschistischen Terror. Sein Kampf war genauso erbarmungslos, wie er gegenüber
sich selbst. Er ist ein herausragendes Beispiel für eine andere Art der
Juristen der Weimarer Zeit, die nicht nur klug und vorteilhaft zu argumentieren
wussten, sondern sich auch in der Tradition der abendländisch–christlichen Werte
der Freiheit und Gerechtigkeit sahen.
Die Hans-Litten Pentalogie:
1. Ein Einführung
2. Ein Leben für die Gerechtigkeit
3. Schamhaftes Schweigen in der BRD
4. Littenkult in der DDR
5. Auferstanden aus Ruinen
1. Ein Einführung
2. Ein Leben für die Gerechtigkeit
3. Schamhaftes Schweigen in der BRD
4. Littenkult in der DDR
5. Auferstanden aus Ruinen
Beeindruckendes Leben! Echt erstaunlich, dass man im Geschichtsunterricht überhaupt nichts über Litten erfährt.
AntwortenLöschenFinde ich auch! Echt total schade, dass Viele oft nicht einmal den Namen Hans Litten kennen.
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