Dienstag, 12. August 2014



Niklas Götz
Monatsthema 8/14

Seit dem Beginn des Großen Krieges wurde immer wieder gefragt, wer ihn zu verantworten hatte. Anfangs wurde die klare Untersuchung der Propaganda und politischer Spannungen vernebelt. Heute, 100 Jahre später, sind alle Staaten entweder friedlich vereint oder existieren nicht mehr in dieser Form. Wem ist also die Schuld zu geben?

Unterzeichnung der Versailler Verträge „William Orpen - The Signing of Peace in the Hall of Mirrors, Versailles“ von William Orpen - Imperial War Museum Collections: Website Webpage. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:William_Orpen_-_The_Signing_of_Peace_in_the_Hall_of_Mirrors,_Versailles.jpg#mediaviewer/Datei:William_Orpen_-_The_Signing_of_Peace_in_the_Hall_of_Mirrors,_Versailles.jpg
 
Diese Kriegsschuldfrage klingt bereits an sich etwas makaber. Millionen Menschen starben, noch viele mehr mussten unsägliches Leid ertragen. Es handelt sich um keine gewöhnliche Schuld wie die an einem Verkehrsunfall, sondern um eine solche, die jegliches System der Klassifizierung und Wiedergutmachung überfordert. Gerade diese Überforderung verleitet dazu, leichtfertig damit umzugehen. Schuld sind natürlich immer die anderen. Einfache Antworten werden deshalb bevorzugt.



Die einfachste Antwort war lange diejenige, die den Mittelmächten, insbesondere Deutschland, die Schuld gibt. Österreich-Ungarn habe das Attentat von Sarajevo ausgenutzt, um einen Grund zu finden, das widerspenstige Serbien zu unterwerfen. Deutschland wolle Frankreich und Russland besiegen, bevor sie durch Aufrüstungskampagnen zu stark werden, und gibt deshalb Österreich-Ungarn seine volle Unterstützung. Dadurch wirke das Deutsche Kaiserreich nicht wie ein Aggressor, obwohl es den Krieg ausgelöst habe. Der "Blankoscheck", also das Versprechen an die österreichisch-ungarische Delegation, jeden Kurs zu unterstützen, habe letztere geradezu den Krieg aufgezwungen, weil sie die einmalige Chance nutzen mussten, um die Stabilität des eigenen Staates zu wahren. Deutschland wäre damals klar gewesen, dass dies in einen Weltkrieg führt. Es war auch beabsichtigt, nur so ist der Überfall auf das neutrale und mit Großbritannien verbündete Belgien zu erklären.

Wie stark die Rolle Österreich-Ungarns zu bewerten sei, ist bei dieser Interpretation der Ereignisse strittig. Einerseits ist entlastend, dass die Monarchie direkt unter dem Verlust des Thronfolgers gelitten hatte. Außerdem erklärte es erst sechs Tage nach Deutschland Russland den Krieg, war also anscheinend viel eher an dem lokalen Konflikt mit Serbien interessiert. Andererseits gab es auch ein direktes Interesse daran, die Situation eskalieren zu lassen - ansonsten wäre das Ultimatum an Serbien nicht von astronomischen Forderungen gespickt gewesen. Daneben hätte auch Deutschland ohne Österreich-Ungarn keinen Kriegsgrund gehabt. Es bleibt also strittig, wer von beiden der Kriegstreiber und wer der Mitläufer war.



Ebenso bleibt unklar, ob die Verantwortung der gesamten kriegslustigen Bevölkerung zu geben ist, welche die Führer ihrer Nation geradezu zum Krieg zwangen, oder aber einem elitären Kreis an der Spitze der beiden Kaiserreiche, welche bereit war alles aufs Spiel zu setzen, um ihre Träume vom Sieg zu verwirklichen.



Diese Interpretation, welche den Mittelmächten die volle Schuld gibt, war lange sehr populär. Dies liegt einerseits an der Überlegenheit des Siegers, welcher dies in den Versailler Verträgen manifestieren konnte. Andererseits wurde die Erinnerung an den Sommer 1914 nachhaltig durch den Herbst 1939 überdeckt. Die Schuld des Nazi-Regimes am Zweiten Weltkrieg ist unbestreitbar, das hat sich tief in die Mentalität unserer Nation gebrannt. Angesichts des Verlusts jedes nationalen Selbstbewusstseins im Angesicht der Trümmerhaufen und des Bewusstseins der eigenen Schuld war man dazu geneigt, auch die Gesamtschuld am Ersten Weltkrieg auf sich zunehmen, wirkt sie doch – zu Unrecht - um ein Vielfaches kleiner.



Mit dem wiederaufkeimenden deutschen Nationalstolz nach der Wiedervereinigung wird auch hier eine Ansichtsweise heimisch, die sich im Rest Europas schon länger verbreitet hatte, wenn auch keine dominante Stellung einnimmt. Es ist nämlich unbestreitbar, dass bereits Jahre zuvor nicht nur die Seite der Mittelmächte nichts getan hat, um eine Versöhnung zu erreichen, sondern ebenso die Entente. Anstatt Lösungsmöglichkeiten für die Wettrüstung in der Marine anzubieten, hat Großbritannien die Situation weiter verschärft.

Außerdem ist offensichtlich, dass der Krieg niemals ohne den terroristischen Anschlag in Serbien stattgefunden hätte. Dies war eine enorme Provokation, die durchaus als Kriegsgrund gesehen werden kann. Manche Historiker sind der Auffassung, die späteren Mittelmächte hätten ernsthafte Ambitionen gezeigt, diesen Konflikt auf Serbien zu begrenzen. In dieser Interpretation ist der deutsche "Blankoscheck" als Versicherung Österreichs gegenüber Russland zu sehen, nicht als Schlüssel zur Hölle. Erst die Mobilisierung in Russland war angeblich der Auslöser für die Europäisierung des Konflikts. Diese wiederum fand erst statt, nachdem Frankreich einen ganz ähnlichen "Blankoscheck" an Russland ausstellte. Auch Großbritannien sei nicht dem Krieg beigetreten, um Belgien beizustehen, sondern um die "balance of powers" zu erhalten. Die übereiligen Kriegserklärungen Deutschlands und der Überfall auf Belgien können nicht nur als Aggressivität, sondern auch als Angstreaktion gedeutet werden, denn man hoffte den Gegner zu besiegen, bevor er seine gesamten Kräfte entfesselt.



Zuletzt bleibt die Beobachtung, dass auch unter der Bevölkerung der Entente eine große Kriegslust vorhanden war. Ebenso wie in Deutschland hoffte man auf einen schnellen, glorreichen Sieg. In Deutschland wie in Frankreich gab es geläufige Kindergebete, die dem Gegner den Tod wünschten. Wie ist nun die Schuldfrage zu beantworten?



Die einfachsten Antworten sind wie so oft auch hier die schlechtesten. In meinen Augen ist die Schuld der Mittelmächte, gerade Deutschlands, unbestreitbar und besonders groß. Auch die Kriegsbegeisterung der Bevölkerung ist unverzeihlich. Dennoch: Sie war eine Folge der Propaganda, die auch für den Krieg direkt verantwortlich ist und in den Händen der Eliten um den Kaiser lag. Insofern trifft in meinen Augen der Führung der beiden Kaiserreiche die Hauptschuld.

Auch die serbische Regierung, welche das Attentat von Sarajevo zwar nicht initiiert aber toleriert hat, trifft eine gewisse Schuld. Es hätte ihr bewusst sein müssen, dass dies in einen Krieg führt, wobei nicht vorhersehbar war, welche apokalyptischen Ausmaße der annimmt.

Auch die Kräfte der Entente sind entgegen der Versailler Verträge nicht von ihrer Schuld freizusprechen. Allen voran hat Russland die Situation verschärft. Die Entente ist nicht widerwillig dem Krieg beigetreten, sondern hat die Gelegenheit wahrgenommen, sich ein Kräftemessen zu liefern. Auch hier gab es einen Willen zum Krieg, Entspannung wurde nicht in Betracht gezogen. Die Entente war vielleicht nicht der Haupttäter, aber auch nicht das Opfer.

Opfer waren allein die Menschen.

3 Kommentare:

  1. Ich bin auch der Meinung das man das nicht so eindeutig sagen kann. Lange war aufgrund des Artikels 231 des Versailler Vertrags welcher von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands im 1ten Weltkrieg spricht die Diskussion als geklärt angesehen. Zu Zeiten in denen das deutsche Nationalbewusstsein wieder etwas wächst, wird die Kriegsschuldfrage vielleicht auch in der Öffentlichkeit wieder diskutiert werden.

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    1. Um die Kriegsschuld zu analysieren muss man sich in die Zeit um die Jahrhundertwende zurückversetzen.

      In einer Dokumentation des Senders ARTE wurde genau dieses Thema analysiert. Inhalt war: Alle wesentlichen Länder der damaligen Zeit hatten 1914 ein mehr oder minder großes „Interesse“ an einem Krieg.
      Zu dieser Zeit war die Vorstellung von Krieg allerdings aus der Historie geprägt. Man zieht in eine Schlacht, es stehen sich 2 Heere gegenüber und nach ein paar Tagen ist alles vorbei. So werden ja auch die deutschen Soldaten zitiert: Weihnachten sind wir wieder zu Hause.

      Was waren nun die „Interessen“ ?
      Russland hatte zu dieser Zeit innenpolitische Probleme. Bereits seit 1905 kam es zu Aufständen in der Arbeiterschaft. Des Zaren Strategie war die übliche: gibt es innenpolitisch Probleme dann schafft man sich außenpolitisch einen Feind und eint damit die Nation.
      Frankreich war dem aufstrebenden Deutschland industriell hoffnungslos unterlegen. Spätestens die Weltausstellung in Paris 1900 hatte den Franzosen die fortschrittliche Technik der deutschen Industrie vor Augen geführt. Gleichzeitig war die Geburtenrate in Deutschland höher als in Frankreich. Das bedeutete, dass mit jedem Tag die Schere zwischen Frankreich und Deutschland auseinander ging. Von Jahr zu Jahr würde Deutschland stärker sein als zuvor. Wenn also ein Krieg notwendig war dann aus Sicht der Franzosen besser früher als später. Daneben hatten die sehr patriotischen Franzosen seit der Niederlage von 1871 sowieso eine Revanche gewünscht.
      Die Engländer hatten ebenfalls innenpolitische Schwierigkeiten aber primär waren sie an der traditionellen Balance of power auf dem Kontinent interessiert. Ein immer stärker werdendes Deutschland in den Händen eines unkalkulierbaren Kaiser war ein Problem das behoben werden musste. Ein Krieg bot die Lösung. Insbesondere konnte man so die Vormachtstellung auf dem Meer sichern.
      Allen großen Ländern gemein war, dass die Jahrhundertwende eine Zeit war welche von übersteigertem Patriotismus bis hin zum Nationalismus geprägt war.

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    2. @Dominik, sehr guter Kommentar, dem ich absolut beipflichten muss!
      Fast die gesamte europäische Bevölkerung freute sich auf den Krieg - in London und Paris feierten die Massen die Kriegserklärung genauso wie in Berlin. Jeder erwartete einen kurzen Krieg, nicht nur die Deutschen. Junge Männer eilten zu dein Einschreibebüros des Militärs, weil sie Angst hatten, ihre Chance auf soldatischen Ruhm zu verpassen. Gegenseitige Provokationen hatten eine äußerst nationalistisch-feindliche Atmosphäre geschaffen, die nur darauf wartete, sich zu entladen.
      Ich stimme Niklas zu: Deutschland und Österreich-Ungarn trugen vielleicht den größeren Teil der Verantwortung - längst jedoch nicht die Alleinschuld.

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