Dienstag, 17. Dezember 2013

Niklas Götz

Genau vor 75 Jahren gelang am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin Otto Hahn etwas, das wohl die folgenreichste und bedeutenste Entdeckung der Naturwissenschaften bis jetzt sein sollte: Die Spaltung des Uranatoms. Doch die Folgen sollten ein Mahnmal für die Wissenschaftsethik werden.
Versuchsaufbau bei der Entdeckung der Kernspaltung. (By J Brew [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons)



Natürlich war Otto Hahn nicht alleine. Direkt an den Versuchen mitbeteiligt war Fritz Straßmann. Initiert wurde die Experiment jedoch von Lise Meitner. Als Physikern war sie fasziniert gewesen von den Versuchen Enrico Fermis, der schwere Atome mit Neutronen bestrahlte und so schwerere, unbekannte Elemente erhielt - ein bis dahin unvorstellbarer Vorgang.
Jedoch waren es schwierige Zeiten, denn Meitner war Jüdin und deshalb im Exil in Schweden. Dennoch überredete sie Hahn und Straßmann zur Suche nach den "Transuranen", jene Elemente, die schwerer als Uran sind und so instabil, dass sie nicht natürlich vorkommen. 
In Abwesenheit gab sie ihnen Vorgaben, wie ein solches Experiment auszusehen habe. Persönlich miterleben konnte sie diese jedoch nicht. 
Am 17. Dezember 1938 wurden erneut Versuche in Berlin unternommen - mit heute unvorstellbar primitiven Mitteln. Als Uran über Nacht mit Neutronen bestrahlt wurde, erwartete man das Element 93. Denn bereits einige Zeit zuvor behaupteten die Tochter von Marie Curie, Irene Curie, sowie ihr Postdoktorand, Paul Savitch, dieses Element entdeckt zu haben. Jedoch wies es für seine Hauptgruppe mysteriöse Eigenschaften auf. Hahn und Straßmann vermuteten, dass es sich um stattdessen um Radium und dessen Zerfallsprodukt Actinum handeln könnten. Innerhalb kürzester Zeit wird das Experiment vorgenommen, jedoch mit verblüffenden Resultaten: Das vermeintliche Radium verhält sich wie Barium und war für einen Chemiker eindeutig festzustellen. Als Physiker konnten sie jedoch nicht davon ausgehen, dass Barium aus der Bestrahlung von Uran entstehen konnte. Deshalb wandte man sich wieder an Meitner. Gleichzeitig wurden die Versuchsergebnisse veröffentlicht, jedoch hütete man sich davor, die Entstehung von Barium zu postulieren.
Während eines Winterspaziergangs kam Meitner in Schweden zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch, der bei Niels Bohr arbeitete, die zündende Idee: Der Atomkern wurde durch die Neutronen gespalten - das kleinere Fragment ist Barium. Von Anfang an war klar, dass dabei eine enorme Energiemenge freigesetzt wird. Die energiereichen Bruchstücke sollten einen Monat später von Frisch in Kopenhagen nachgewiesen werden. Otto Hahn erhielt1944 den Nobelpreis der Chemie.

Doch so groß auch die Leistung der Berliner Arbeitsgruppe für die Wissenschaft war - so umstritten ist sie für die Gesellschaft. Während bereits 1939 hunderte Publikationen über dieses neue Gebiet veröffentlich wurden, konnte bereits 1942 eine Kettenreaktion hergestellt werden - aus Hahns Experimenten war diese Möglichkeit noch nicht ablesbar. Diese Kettenreaktion fand im ersten Atomreaktor der Welt in den USA statt - jener Nation, die aufbauend auf Hahns Ergebnissen die erste Atombombe zünden sollte. Auch Tschernobyl, Harrisburgh und Fukushima ebenso wie alle anderen Atombombenzündungen und die ständige Bedrohung eines weiteren Einsatzes von Nuklearwaffen wirft man Hahn oft vor.
Aber kann man ihn wirklich dafür verantwortlich machen?

Unversehens gerät man so in die Tiefen der Wissenschaftsethik. Doch man kann die Frage nach der Verantwortung einses Wissenschaftlers für die Verwendung seiner Entdeckung nicht allgemein beantworten, sind doch die Fälle viel zu verschieden. Außerdem müsste man sich hierfür erst auf eines der vielen ethischen Modelle einigen, um Hahns Verhalten bewerten zu können.
Dennoch kann man zumindest für den Fall Otto Hahns ein abschließendes Urteil bilden. Denn wenn man bedenkt was er wusste, so war es doch nicht mehr, als dass sich ein Atom womöglich spalten lassen und man damit Energie freisetzen könne - ohne die Kettenreaktion ist dies ein vollkommen ungefährlicher Vorgang. Schließlich müsste man so jeden Kern einzeln spalten, Atomwaffen oder Reaktoren wären so nicht möglich.
Und so umstritten Kernenergie und Kernwaffen sind: Hätte die Welt ohne die Spaltung des Atoms, des "Unteilbaren", wie der Begriff auf Deutsch übersetzt heißt, besser ausgesehen? Ich möchte mich gar nicht in die Diskussion zur Kernenergie einbringen und auch nicht die Frage beantworten, ob aus dem Kalten Krieg ohne die Gewissheit, sich gegenseitig auslöschen zu können, ein heißer geworden wäre. Aber die schier unerschöpflichen Erkenntnisse, die man dank dieser vollkommen neuen Sicht auf das Wesen der Materie hat, wäre ohne die Kernspaltung unmöglich gewesen. Es gibt auch zahlreiche alltägliche Nutzen davon - zu viele, um sie hier aufzuzählen. Man bedenke nur die medizinische Nutzung, die gesamte moderne Physik und Chemie, moderne Technologie ....
Eine weitere Frage, die sich die wissenschaftskritischen Betrachter Hahns stellen lassen müssen, ist auch, ob nicht sowieso bald jemand anderes die Spaltbarkeit entdeckt hätte. Schließlich ist naturwissenschaftliche Erkenntis nichts, wofür es einen "Erleuchteten", ein einmaliges Individuum bräuchte.

Dennoch soll die Geschichte der Atomspaltung für die Wissenschaft ebenso ein Mahnmal sein wie Dürrenmatts "Physiker". Immer wieder steht die Wissenschaft vor ethischen Fragen, und keine ist unüberschaubarer als die, wie mit der Erkenntis umgegangen wird. Dennoch möchte ich hier in Zweifel stellen, ob dies wirklich eine Frage nur an die Wissenschaft ist. Ihr oberstes Ziel muss doch das Streben nach Wahrheit sein. Nur dazu ist sie verpflichtet, nicht der moralischen Integrität des Wegs zur Erkenntnis oder der Erkenntnis selbst. Die Gesellschaft hingegen hat immer die Funktion eines moralischen Korrektivs, wie sie das bereits beim Individuum tut. Dies kann sie auch bei der Wissenschaft. Und letztendlich ist zumindest Grundlagenforschung niemals mit der Frage der konkreten Anwendung konfrontiert. Es sind immer - auch bei Dürrenmatt - Industrie oder Staat, die Erkenntnis zu fragwürdigen Dingen missbrauchen (bei anwendungsorientierter Forschung gestaltet sich dies freilich anders). Sodenn kann eine rein erkenntisorientierte Forschung nicht für die spätere Verwendung ihres Ergebnises verantwortlich gemacht werden, nur der Weg zur Erkenntnis muss moralisch überprüft werden. Dies soll, wie erwähnt, über die Gesellschaft geschehen, z. B. durch Gesetze. Hier ist aber eine vernünftige Abwägung von Kosten und Risiken von Nöten. Dies zeigt sich auch am abschließenden Beispiel des LHC. Die Wahrscheinlichkeit, damit wirklich Schwarze Löcher zu erzeugen, ist zu gering, um diese in Wörter anstatt in Zahlen auszudrücken. Im Gegenzug sind die Möglichkeiten der Erkenntnis groß genug, um den Rahmen dieses Textes millionenfach zu sprengen. Bleibt hier noch ein ethischer Zweifel? Oder rührt die Kritik nicht oft von Ablehnung gegenüber Wissenschaft?

7 Kommentare:

  1. Ein guter Artikel! Nur eines würde ich bemängeln:

    "Ihr oberstes Ziel muss doch das Streben nach Wahrheit sein. Nur dazu ist sie verpflichtet, nicht der moralischen Integrität des Wegs zur Erkenntnis oder der Erkenntnis selbst."

    Wissenschaftler sind immer noch Menschen, und als solche haben sie die moralische Pflicht, die ethische Vertretbarkeit ihres Handelns sicherzustellen. Vielleicht können sie nicht immer absehen, was für Folgen ihre Entdeckungen haben werden (wie Otto Hahn), aber zumindest sollten sie darauf achten, wie sie diese Erkenntnisse erlangen. Das ist nicht erst die Rolle des Staates, das ist die Aufgabe jedes einzelnen Forschers.

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    1. Vielleicht ist "Staat" hier der falsche Begriff - es gibt ja Ethikkommission an Universität. Der Wissenschaftler hat die Pflicht, sein Handeln den jeweiligen Kommissionen darzulegen.
      Jedoch sehe ich den Wissenschaftler in seiner Funktion als Wissenschaftler nicht mehr als Mensch, sondern als Suchender der Wahrheit. Insofern ist er dann von der Moral losgelöst. Nur wenn er frei von moralischen Fragestellungen ist, kann er wirklich frei forschen - wie ein Computer, nur mit Kreativität.
      Natürlich erfordert dies die Notwendigkeit ethischer Institutionen. In der Rolle als Mensch kann der Wissenschaftler dann entscheiden, ob er der ethischen Institution vertraut und deshalb sein Gewissen ablegt, oder eben nicht.

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  2. Eine andere, verwandte Frage: Was macht man mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zwar sehr "unsauber" (d.h. ethisch unvertretbar) gewonnen wurden, aber trotzdem nützlich sind? Paradebeispiel: die Zwillingsforschung der Nazis. Das Mengele & Co. absolut menschenunwürdige, ja teuflische Experimente durchführten ist überhaupt keine Frage. Trotzdem kann man auch heute noch von den damals gesammelten Daten lernen, u.a. medizinisch nutzbares Wissen. Nur mag es sich natürlich keiner auf die Flagge schreiben, wessen Daten er benutzt hat.

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    1. Eine exzellente Frage. Und häufig diskutiert.
      Schließlich sehen es manche Menschen als Befürwortung dieser Praxis, wenn man ihre Ergebnisse nutzt.
      Auch hier ist dies vom ethischen Modell abhängig.
      Aber mal ehrlich: Egal woher Wissen kommt: Es kommt darauf an, was letztendlich in der Gegenwart und der Zukunft geschieht. Man muss verhindern, dass noch einmal auf diese Weise gewonnen werden. Aber kann man einen Menschen sterben lassen, weil einem nicht gefällt, woher die Daten zur Heilung kamen?

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    2. Dem würde ich zustimmen. Auch wenn es immer einen bitteren Nachgeschmack im Mund hinterlässt, wenn man darüber nachdenkt, woher die Daten kommen.

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  3. Frage .Wann war der 1. Reaktor in den USA funktionsfähig?

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    1. 1942 http://de.wikipedia.org/wiki/Chicago_Pile

      Die Energieerzeugung wurde erst 10 Jahre später von den Russen möglich gemacht. http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Obninsk

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