Samstag, 10. August 2013

Daniel Vedder

Viele Eltern verfluchen sicherlich Sir Tim Berners-Lee. Vorausgesetzt, sie wissen, wer er ist. Denn dieser Mann, bekannt als Erfinder des World Wide Web, ist verantwortlich für die größte Herausforderung, der sich Eltern heutzutage stellen müssen. Das Internet ist das große Unbekannte, ein Neuland voller Gefahren für sie, die ältere Generation der „Digital Immigrants”. Das Schlimmste für sie ist jedoch, dass sich ihre Kinder scheinbar sorglos und blauäugig in diesem verseuchten Dschungel tummeln.
Schnell werden dabei Vorfwürfe laut. Ob ihre Sprösslinge denn nicht wüssten, das Facebook & Co. der reinste Spielplatz für Pädophile seien? Schließlich kennen heutige Jugendliche sowieso keine ihrer Internetkontakte mehr persönlich. Und ein soziales Leben in der „realen” Welt gibt es auch nicht mehr.
Die Liste der Vorwürfe kann beliebig fortgeführt werden. Sei es die unkritische Akzeptanz der „Fakten“ in einem Wikipedia-Artikel, die Nutzung von SMS-Deutsch im täglichen Sprachgebrauch, oder einfach nur die vielen am Computer verbrachten Stunden – von allen Seiten hagelt es Kritik. Ironischerweise kommt die lauteste Kritik von denjenigen, die laut eigener Angabe nichts von diesem neuen digitalen Medium verstehen.
Es würde ihnen guttun, sich selbst ein wenig mehr mit der „größten Gefahr unserer Zeit“ zu beschäftigen. Denn letztendlich ist es mit dem Internet nicht viel anders als mit dem Straßenverkehr – je besser man sich auskennt, desto sicherer fährt man. Man wirft uns, der heranwachsenden Generation, vor, die vielen Gefahren „unseres“ Mediums zu übersehen, ja, ihnen sogar Tür und Tor zu öffnen.
Doch heißen wir nicht umsonst „Digital Natives“. Wir kennen die Gefahren gut, und wir wissen, wie man mit ihnen umgeht. Entgegen den Vorstellungen vieler Eltern haben Studien gezeigt, dass wir durchaus an dem Schutz unserer Privatsphäre, auch online, interessiert sind. Und Onlinespiele spielen wir auch viel lieber mit unseren echten Freunden als mit irgendwelchen anonymen Kontakten.
Darum ärgert es uns, wenn Autoren wie Manfred Spitzer („Digitale Demenz“) oder Axel Dammler („Verloren im Netz – Macht das Internet unsere Kinder süchtig?“) uns scheinbar kollektiv jede soziale und intellektuelle Lebenskompetenz absprechen, sobald Computer im Spiel sind. Denn ja, wir kennen die Gefahren. Und ja, wir wissen, wie man mit ihnen umzugehen hat.
Anstatt dauernd die vielen Gefahren zu betonen, sollte man auch über die Möglichkeiten reden, die uns das Internet bietet. „Digital Natives“ verfügen über eine Medienkompetenz, von der viele unserer Eltern nur träumen. „Da wird im Internet ausführlich recherchiert und tolle Präsentationen in PowerPoint erstellt und vorgetragen“, meint beispielsweise die Gymnasiallehrerin Dörthe Stockhaus. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Andere Jugendliche erstellen für ihre Familien Websites, um der ganzen Verwandtschaft eine einfache und schnelle Kommunikation zu ermöglichen. Mit 15 wurde ein Jugendlicher einer der Chefentwickler des Firefox Webbrowsers, der von Millionen als schnelles und sicheres Programm geschätzt wird. Mit 22 erfand Mark Zuckerberg Facebook, das mittlerweile über eine Milliarde Menschen weltweit verbindet. Diese Medienkompetenz ist von unschätzbarem Wert in der heutigen Wirtschaft. Und sie wird großteils im Internet gelernt.
Es gibt noch viele andere Vorteile des Internets. Die atemberaubende Informationsfülle, die es bietet, schlägt jede Bibliothek, wenn es um Menge und Einfachheit des Zugriffs geht. In sogenannten „Massive Open Online Courses“ (MOOCs) kann man bequem von Zuhause aus gratis Universitätskurse auf höchstem Niveau mitmachen. Auf sozialen Netzwerken kann man einfach mit Freunden Kontakt halten, auch wenn diese über die ganze Welt verstreut sein sollten.
Angst vor dem Unbekannten zu haben ist völlig normal. Doch muss diese Angst dazu führen, dass eine ganze Generation in ihrem Verhalten verteufelt wird? Zugegeben, schon Aristoteles klagte zu seiner Zeit über „die Jugend von heute“. Doch hat der Aufstieg des Internets dem Konflikt der Generationen noch einmal Öl auf das Feuer gegossen. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir Eltern, die bereit sind, die Welt ihrer Kinder wirklich kennenzulernen. Nur so werden wir die vielen herrschenden Vorurteile abschaffen können. Wir Jugendliche sind keine „Ausgeburt der Cyberhölle“, weil es diese „Cyberhölle“ gar nicht gibt. Walt Disney sagte: „We keep moving forward, opening new doors and doing new things, because we're curious, and curiosity keeps leading us down new paths.“ Darum lasst uns gemeinsam durch diese Tür gehen, die Sir Tim Berners-Lee für uns geöffnet hat.

Quellen

  1. M. Hollstein, D. Steffan, P. Kuhn (2009). “Jugend 2.0 – Gefangen im virtuellen Netz?”, Die Welt. http://www.welt.de/politik/bildung/article3456343/Jugend-2-0-gefangen-im-virtuellen-Netz.html
  2. U. Gasser (2009). “Jugend und das Internet”, Frankfurter Allgemeine Zeitung. http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/computer-internet/jugend-und-das-internet-surfen-macht-schlau-1758040.html
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3 Kommentare:

  1. Du stellst sehr schön dar, wie Unwissenheit, polarisierende Medien und Generationenkonflikte zu einer ideologisch anmutenden Diskussion mit vielen Stereotypen, Klischées und Halbwahrheiten führen.
    Allgemein gibt es zwei Bilder vom Internet, welche du beide darstellst. Gegen Ende tendierst du aber zum Bild des Paradises, indem die Pygmäen ("Digital Natives" oder dein "wir") wissend, weise und vorsichtig umherstreifen und dabei goldene Früchte ernten (entschuldige diese überspitzte Allegorie).
    Jedoch ist zu bezweifeln, dass alle von "uns" (ich bezweifle, dass wir homogen genug sind, um von uns zu sprechen) wirklich so wissend sind. Ich kenne viele, die zwar von Anfang an beim Internet dabei waren, jedoch jegliche Sorgen angesichts der Verlockungen des Internets über Bord werfen und direkt zu den Felsen der Sirenen fahren.
    Das Internet ist weder Paradis noch Hölle - es ist ein Garten, in dem es Schlangen gibt, und viele der Eingeborenen werden gebissen, weil sie zwar jeden Obstbaum kennen, aber keine Ahnung haben, dass es wie das echte Leben Risiken gibt.

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    1. Ich verneine nicht, dass das Internet auch viele Gefahren birgt, noch, dass viele darin schon "gebissen" wurden. Meine Hauptthese ist nur, dass es viele gute Möglichkeiten bietet, und dass sich besagte Gefahren mit Wissen und unter Anwendung eines gesunden Menschenverstandes minimieren lassen. Eine umfassende, differenzierte Betrachtung würde einen signifikant längeren Artikel (wenn nicht gar ein Buch) erfordern. Mein Ziel war es lediglich, dem leider allzuverbreiteten Image einer "Cyberhölle" entgegenzuwirken.

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    2. Diesem Vorhaben möchte ich ausdrücklich meinen Segen geben, denn nur wenn wir das Internet rational und realistisch wahrnehmen, können wir den existierenden Gefahren und Ungerechtigkeiten entgegenwirken.

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