Freitag, 8. August 2014

Andreas Grabolle
Gastbeitrag zum Monatsthema 7/14
Andreas Grabolle ist Biologe, Wissenschaftsjournalist und – inzwischen – Veganer. Er arbeitet selbstständig in der Nachhaltigkeitskommunikation und ist Autor der Bücher "Pendos CO2-Zähler" und "Kein Fleisch macht glücklich", das vom Vegetarierbund zum Sachbuch des Jahres 2013 gewählt wurde. Für CATO hat er einen Gastbeitrag zum Monatsthema 7/14 "Das Tier und wir" geschrieben.

Veganismus boomt. Nicht nur die Medien berichten inzwischen regelmäßig darüber. Auch die veganen Angebote, sei es in Supermärkten, Bioläden oder Restaurants und natürlich die Zahl der vegan lebenden Menschen selbst hat offenbar seit wenigen Jahre deutlich zugenommen. Aktuell ernährt sich gut ein Prozent der deutschen Bevölkerung vegan, immerhin fast eine Million Menschen. Eine vegane Lebensweise ist in der Regel nicht bloß eine fitnessorientierte Diät, sondern lehnt grundlegend weit verbreitete Wirtschafts- und Verhaltensweisen ab. Die meisten Veganer möchten ein grundlegendes Umdenken in unserem Umgang mit Tieren, insbesondere den sogenannten Nutztieren. Sie wollen die Tiernutzung zumindest in der Landwirtschaft abschaffen. Kein Wunder also, dass sich Menschen berufen fühlen, gegen den Veganismus zu argumentieren. Nicht nur diejenigen, die ein wirtschaftliches Interesse an der Nutzung von Tieren haben, sondern auch Menschen, die ihre bisherige Ernährung mit Fleisch und anderen Tierprodukten rechtfertigen möchten. Interessanterweise reicht es vielen nicht, einfach darauf hinzuweisen, dass Fleisch eben lecker sei, sie aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht darauf verzichten könnten oder sie schlicht keine Lust hätten, ihr Verhalten aus ethischen Erwägungen zu verändern. Sie möchten die Kritiker (an ihrem Verhalten) kritisieren. Dazu bedienen sich die Kritiker häufig ähnlicher Argumente:
So sei es ein Privileg, sich überhaupt über Ernährung Gedanken machen zu können. Das ist sicherlich richtig, allerdings sehe ich darin keine Wohlstandsdekadenz. Es ist für mich eine wünschenswerte Eigenschaft, über die eigene Verantwortung seines Handelns nachzudenken und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen, sobald es die eigene Lebenssituation zulässt.
Häufig wird mit pauschalen Unterstellungen gegen den Veganismus argumentiert (das unterstelle ich jetzt mal pauschal). So lautet ein weiterer Kritikpunkt, dass Veganer die Kultur des Essens oder gar die Kultur überhaupt ablehnen würden. Natürlich ist Ernährung ein Teil der menschlichen Kultur und auch identitätsstiftend (gerade das erlebt ja auch der Veganer). Wenn Veganer aufgrund ihrer kulturellen und geschmacklichen Prägung auf Würstchen und Steaks aus Soja oder Weizen zurückgreifen, wundern sich die Kritiker oder wittern gar eine Inkonsequenz. Kulturelle Praktiken infrage zu stellen, abzuwandeln oder abzuschaffen, war auch schon immer Teil der menschlichen Kultur. Schließlich verändert sie sich laufend, bisweilen mit sehr positiven Entwicklungen.
Eine generelle Kulturverachtung bei Veganern sieht beispielsweise der Philosoph und Kulturjournalist Alexander Grau in seinem Beitrag „Veganer sind moralische Totalitaristen“ vom Mai 2014 im Cicero. Diese kann ich beim Veganismus überhaupt nicht feststellen. Ebenso unverständlich ist für mich dort seine Behauptung, Veganer würden sich generell als besonders natürlich begreifen. Ansonsten wird ja gern das Unnatürliche der veganen Ernährung hervorgehoben. Auch das bedient dann Alexander Grau, wenn er schreibt: „Im Vergleich zu veganer Ernährung ist jeder Big Mac ein total authentisches Lebensmittel.“ Die häufig nicht ganz billigen fertigen Fleisch- und Käsealternativen, die bisweilen wie auch andere Fertigprodukte viele Zusatzstoffe enthalten, dürften insgesamt jedoch nur einen geringen Teil der veganen Ernährung ausmachen. Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und Getreide sind mengenmäßig weitaus wichtiger. Früher gab es für Veganer angeblich nur Körner und etwas Obst. Heute werden hingegen die teils bizarren Alternativen von Shrimps, Thunfisch und „halben Hähnchen“ medial übermäßig hervorgehoben. Für die Produzenten im Lebensmittelsektor sind sie natürlich bedeutsam.
Neulich wollte man mir weismachen, dass selbst Sojamilch total unnatürlich sei, jedenfalls unnatürlicher als Kuhmilch, weil die Sojapflanze ja nicht von sich aus Milch erzeugen würde. Dass Kuhmilch heutzutage üblicherweise pasteurisiert und im Fettgehalt genau definiert zusammengemischt wird und Sojamilch ganz einfach aus Wasser und Sojabohnen hergestellt werden kann, wurde offenbar gar nicht wahrgenommen. Die Natürlichkeit ist ohnehin nicht das Problem, zumindest nicht aus moralischer Sicht, sondern Natürlichkeit als Rechtfertigung für das Einfachsoweitermachen zu nehmen.
In einem Punkt muss ich Alexander Grau allerdings recht geben. Zum Teil. Es gibt Menschen, vermutlich ist es die große Mehrheit, für die es neben ethischen Normen andere Maßstäbe des Handelns gibt. Nun kritisieren tatsächlich viele Veganer, wenn andere bei ihrem Handeln ethischen Normen nicht die höchste Priorität einräumen. Das kann dann in praxisfernen oder kontraproduktiven Versuchen münden, andere in eine bestimmte Richtung drängen zu wollen. Als Hypermoralismus würde ich das dennoch nicht bezeichnen. Die Unbekümmertheit in unserem Umgang mit Tieren gesamtgesellschaftlich zu thematisieren und daraus Forderungen abzuleiten, ist moralisch geboten und in Ansätzen erfreulicherweise schon zu erkennen. Und in ethischen Debatten sollten dann auch vor allem ethische Argumente eine Rolle spielen. Aber egal ob es um ethische, ökologische, gesundheitliche oder kulturelle Dimensionen geht – die Suche nach noch so fragwürdigen Argumenten gegen den Veganismus wird vermutlich noch lange nicht zu Ende sein.

7 Kommentare:

  1. Viele Argumente gegen den Veganismus sind oftmals Ausflüchte. Denn sollte kein rationales Argument gegen Veganismus vorhanden sein, so würde dessen daraus folgende moralische Überlegenheit ja eine Änderung der eigenen Lebensweise erfordern - allein die Existenz des Veganismus in einer größeren Gesellschaftsschicht stellt Lebens- und Ernährungsentwürfe infrage.

    Eine sinnvolle Kritik des Veganismus darf nicht bei Symptomen beginnen oder bei moralischen Spitzfindigkeiten, sondern muss das Konzept als ganzes im Blick haben - warum wird das Leben eines Tieres moralisch über das Leben einer Pflanze gestellt?
    Siehe http://www.cato-online.blogspot.de/2014/07/ethik-der-ahnlichkeit.html

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  2. Der Alte Fritz meinte „jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden „ und in Bayern sagt man „ Leben und leben lassen“.

    Wenn die militanten Veganer und die Beef-Abonnenten oder Grill-Weltmeister einfach mal jedem das essen lassen was er will, dann haben wir an dieser Stelle überhaupt kein Thema.

    Mag sein, dass Veganismus boomt, wenn auch auf sehr geringem Niveau. Aber unzweifelhaft boomt auch der Fleischkonsum und das Zelebrieren des Genusses. Die Zeitschrift Beef erlebt Auflagenrekorde und erweitert Ihr Spektrum um eine Fernsehsendung.

    Mag sein, dass sich Veganer um das Wohl der Nutztiere Sorgen machen. Gleichzeitig boomt auch der Verkauf von Bio-Lebensmitteln. Also ist auch der Fleischkonsument zunehmend daran interessiert woher die Steaks kommen.

    Egal ob Veganer oder Fleischesser, keiner kann von sich behaupten sein Handel habe weniger negativen Einfluss auf die Tierwelt. Wenn der Fleischesser sein Schnitzel auf dem Teller hat ist irgendwo ein Hausschwein im Stall gestanden. Sicher nicht unter natürlichen Bedingungen.

    Wenn der Veganer sein Sojaschnitzel auf dem Teller hat, ist vorher der Regenwald in Brasilien gerodet worden. Dort lebt jetzt kein Tier mehr, und es wird auch lange keines mehr auf den Sojafeldern leben. Und wenn die Erde vom Sojaanbau ausgelaugt ist werden die nächsten zigtausend Hektar Regenwald gerodet.

    Wer will hier also über wen richten ?

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    1. Skurril, wenn ausgerechnet die Fleischesser uns ihr "Leben und leben lassen" als Motto vorhalten, die sich von Massenmord ernähren, während wir genau das tun, was sie nur fordern - nämlich leben lassen,

      Und dann die alte Mär mit der Soja. Schonmal drüber nachgedacht, wofür 98% der weltweiten Sojaernete verwendet werden? Für Tiernahrung. Die können auch gentechnisch verändert sein, während Soja für menschlichen Verzehr nicht gentechnisch verändert werden darf. Und hierzulande meist aus Europa kommt.

      Selbstverständlich ist der ökologische Fußabdruck eines Menschen, der sich vegan ernährt, um ein vielfaches geringer als der jedes Fleischessers. Für die Klimaerwärmung tut ein Steak so viel wie eine 1600km lange Autofahrt.

      Aber da wir Veganer nun mal im Schnitt intelligenter, gebildeter und besser informiert sind, kapieren die Schnitzelesser das nun mal nicht. Und faseln was vom Regenwald. Peinlich, peinlich.

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  3. Theresa: natürlich spricht nichts dagegen weniger Fleisch oder Fleischprodukte zu essen. Alleine schon, weil damit auch die Chance verbunden ist weniger Kalorien zu sich zu nehmen. Viel zu viele Menschen sind übergewichtig .

    Allerdings sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass man mit weniger Fleischkonsum etwas für die Umwelt tut. Selbst wenn 1 Mio Menschen vegan leben ist der Effekt etwa so, als würde man ein Fingerhut Wasser aus dem Ozean schöpfen.
    (Nur eine Zahl: Jährlich nimmt die Bevölkerung auf der Erde um 80 Mio. zu.)

    siehe der Artikel

    http://www.cato-online.blogspot.de/2014/04/der-kampf-gegen-den-klimawandel-ist.html

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  4. Genau deshalb sollten meiner Meinung nach ja mehr Menschen sich einen bewussten Fleischkonsum aneignen. Das eine Prozent - oder etwas mehr ist es in Deutschland wohl inzwischen - reicht halt eben noch nicht aus, um wirklich etwas großartig zu verändern. Da stimme ich dir zu, Dominik.

    Aber nur weil es wenig Einfluss hat, find ich es nicht gut, die Möglichkeiten nicht zu nutzen - zumal es hier ja nun echt nicht so kompliziert ist zu verzichten.

    Dazu noch ein chinesisches Sprichwort: "Der Mensch, der den Berg versetzte, war derjenige, der anfing kleine Steine aus dem Weg zu räumen."

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  5. Ich frag mich, was wäre, wenn Europäer ihren Fleischkonsum stark einschränken würden... der Weltmarktpreis für Fleisch würde sinken, sodass der Konsum in Schwellenländern steigt. Im Gegenzug würde die Gemüsepreise steigen.
    Ist es nicht ein Problem, dass aufgrund der Globalisierung auch global angegangen werden muss? Können wir nicht nur eine Verschiebung des Fleischkonsums erreichen anstatt einer allgemeinen Verringerung?

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  6. Fleischkonsum hat nicht nur etwas mit dem Preis zu tun. Klar ist natürlich, dass mehr Fleisch gekauft wird wenn es preiswerter ist. Das ist das Prinzip des Marktes.

    Fleisch ist aber auch ein Statussymbol. Das zeigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Sobald einzelne Bevölkerungsschichten zu Wohlstand gelangten wurde mehr Fleisch gegessen. Gleiches zeigt sich nun in aufstrebenden Nationen weltweit. Es bildet sich dort eine Mittelschicht die öfters Fleisch als Hauptspeise haben will als in der Vergangenheit. Darum steigt der Fleischkonsum in vielen Teilen der Welt erheblich.

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