Niklas Götz
Monatsthema 8/14
Seit dem Beginn des Großen
Krieges wurde immer wieder gefragt, wer ihn zu verantworten hatte.
Anfangs wurde die klare Untersuchung der Propaganda und politischer
Spannungen vernebelt. Heute, 100 Jahre später, sind alle Staaten
entweder friedlich vereint oder existieren nicht mehr in dieser Form.
Wem ist also die Schuld zu geben?
Diese Kriegsschuldfrage klingt bereits an sich etwas makaber.
Millionen Menschen starben, noch viele mehr mussten unsägliches Leid
ertragen. Es handelt sich um keine gewöhnliche Schuld wie die an
einem Verkehrsunfall, sondern um eine solche, die jegliches System
der Klassifizierung und Wiedergutmachung überfordert. Gerade diese
Überforderung verleitet dazu, leichtfertig damit umzugehen. Schuld
sind natürlich immer die anderen. Einfache Antworten werden deshalb
bevorzugt.
Die einfachste Antwort war lange diejenige, die den Mittelmächten,
insbesondere Deutschland, die Schuld gibt. Österreich-Ungarn habe
das Attentat von Sarajevo ausgenutzt, um einen Grund zu finden, das
widerspenstige Serbien zu unterwerfen. Deutschland wolle Frankreich
und Russland besiegen, bevor sie durch Aufrüstungskampagnen zu stark
werden, und gibt deshalb Österreich-Ungarn seine volle
Unterstützung. Dadurch wirke das Deutsche Kaiserreich nicht wie ein
Aggressor, obwohl es den Krieg ausgelöst habe. Der "Blankoscheck",
also das Versprechen an die österreichisch-ungarische Delegation,
jeden Kurs zu unterstützen, habe letztere geradezu den Krieg
aufgezwungen, weil sie die einmalige Chance nutzen mussten, um die
Stabilität des eigenen Staates zu wahren. Deutschland wäre damals
klar gewesen, dass dies in einen Weltkrieg führt. Es war auch
beabsichtigt, nur so ist der Überfall auf das neutrale und mit
Großbritannien verbündete Belgien zu erklären.
Wie stark die Rolle Österreich-Ungarns zu bewerten sei, ist bei
dieser Interpretation der Ereignisse strittig. Einerseits ist
entlastend, dass die Monarchie direkt unter dem Verlust des Thronfolgers
gelitten hatte. Außerdem erklärte es erst sechs Tage nach
Deutschland Russland den Krieg, war also anscheinend viel eher an dem
lokalen Konflikt mit Serbien interessiert. Andererseits gab es auch
ein direktes Interesse daran, die Situation eskalieren zu lassen - ansonsten wäre das Ultimatum an Serbien nicht von astronomischen
Forderungen gespickt gewesen. Daneben hätte auch Deutschland ohne
Österreich-Ungarn keinen Kriegsgrund gehabt. Es bleibt also strittig, wer von beiden der Kriegstreiber und wer der
Mitläufer war.
Ebenso bleibt unklar, ob die Verantwortung der gesamten
kriegslustigen Bevölkerung zu geben ist, welche die Führer ihrer
Nation geradezu zum Krieg zwangen, oder aber einem elitären Kreis an
der Spitze der beiden Kaiserreiche, welche bereit war alles aufs
Spiel zu setzen, um ihre Träume vom Sieg zu verwirklichen.
Diese Interpretation, welche den Mittelmächten die volle Schuld
gibt, war lange sehr populär. Dies liegt einerseits an der
Überlegenheit des Siegers, welcher dies in den Versailler Verträgen
manifestieren konnte. Andererseits wurde die Erinnerung an den Sommer
1914 nachhaltig durch den Herbst 1939 überdeckt. Die Schuld des
Nazi-Regimes am Zweiten Weltkrieg ist unbestreitbar, das hat sich
tief in die Mentalität unserer Nation gebrannt. Angesichts des
Verlusts jedes nationalen Selbstbewusstseins im Angesicht der
Trümmerhaufen und des Bewusstseins der eigenen Schuld war man dazu
geneigt, auch die Gesamtschuld am Ersten Weltkrieg auf sich zunehmen, wirkt
sie doch – zu Unrecht - um ein Vielfaches kleiner.
Mit dem wiederaufkeimenden deutschen Nationalstolz nach der
Wiedervereinigung wird auch hier eine Ansichtsweise heimisch, die
sich im Rest Europas schon länger verbreitet hatte, wenn auch keine
dominante Stellung einnimmt. Es ist nämlich unbestreitbar, dass bereits Jahre zuvor nicht nur die
Seite der Mittelmächte nichts getan hat, um eine Versöhnung zu
erreichen, sondern ebenso die Entente. Anstatt Lösungsmöglichkeiten
für die Wettrüstung in der Marine anzubieten, hat Großbritannien die
Situation weiter verschärft.
Außerdem ist offensichtlich, dass der Krieg niemals ohne den
terroristischen Anschlag in Serbien stattgefunden hätte. Dies war
eine enorme Provokation, die durchaus als Kriegsgrund gesehen werden
kann. Manche Historiker sind der Auffassung, die späteren
Mittelmächte hätten ernsthafte Ambitionen gezeigt, diesen Konflikt
auf Serbien zu begrenzen. In dieser Interpretation ist der deutsche
"Blankoscheck" als Versicherung Österreichs gegenüber
Russland zu sehen, nicht als Schlüssel zur Hölle. Erst die
Mobilisierung in Russland war angeblich der Auslöser für die
Europäisierung des Konflikts. Diese wiederum fand erst statt,
nachdem Frankreich einen ganz ähnlichen "Blankoscheck" an
Russland ausstellte. Auch Großbritannien sei nicht dem Krieg
beigetreten, um Belgien beizustehen, sondern um die "balance of
powers" zu erhalten. Die übereiligen Kriegserklärungen
Deutschlands und der Überfall auf Belgien können nicht nur als
Aggressivität, sondern auch als Angstreaktion gedeutet werden, denn
man hoffte den Gegner zu besiegen, bevor er seine
gesamten Kräfte entfesselt.
Zuletzt bleibt die Beobachtung, dass auch unter der
Bevölkerung der Entente eine große Kriegslust vorhanden war. Ebenso
wie in Deutschland hoffte man auf einen schnellen, glorreichen Sieg.
In Deutschland wie in Frankreich gab es geläufige Kindergebete, die
dem Gegner den Tod wünschten. Wie ist nun die Schuldfrage zu beantworten?
Die einfachsten Antworten sind wie so oft auch hier die
schlechtesten. In meinen Augen ist die Schuld der Mittelmächte,
gerade Deutschlands, unbestreitbar und besonders groß. Auch die
Kriegsbegeisterung der Bevölkerung ist unverzeihlich. Dennoch: Sie war eine Folge der Propaganda, die auch für den Krieg direkt
verantwortlich ist und in den Händen der Eliten um den Kaiser lag. Insofern trifft in meinen Augen der Führung der
beiden Kaiserreiche die Hauptschuld.
Auch die serbische Regierung, welche das Attentat von Sarajevo zwar
nicht initiiert aber toleriert hat, trifft eine gewisse Schuld. Es
hätte ihr bewusst sein müssen, dass dies in einen Krieg führt,
wobei nicht vorhersehbar war, welche apokalyptischen Ausmaße der
annimmt.
Auch die Kräfte der Entente sind entgegen der Versailler Verträge
nicht von ihrer Schuld freizusprechen. Allen voran hat Russland die
Situation verschärft. Die Entente ist nicht widerwillig dem Krieg
beigetreten, sondern hat die Gelegenheit wahrgenommen, sich ein
Kräftemessen zu liefern. Auch hier gab es einen Willen zum Krieg,
Entspannung wurde nicht in Betracht gezogen. Die Entente war
vielleicht nicht der Haupttäter, aber auch nicht das Opfer.
Opfer waren allein die Menschen.
Ich bin auch der Meinung das man das nicht so eindeutig sagen kann. Lange war aufgrund des Artikels 231 des Versailler Vertrags welcher von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands im 1ten Weltkrieg spricht die Diskussion als geklärt angesehen. Zu Zeiten in denen das deutsche Nationalbewusstsein wieder etwas wächst, wird die Kriegsschuldfrage vielleicht auch in der Öffentlichkeit wieder diskutiert werden.
AntwortenLöschenUm die Kriegsschuld zu analysieren muss man sich in die Zeit um die Jahrhundertwende zurückversetzen.
LöschenIn einer Dokumentation des Senders ARTE wurde genau dieses Thema analysiert. Inhalt war: Alle wesentlichen Länder der damaligen Zeit hatten 1914 ein mehr oder minder großes „Interesse“ an einem Krieg.
Zu dieser Zeit war die Vorstellung von Krieg allerdings aus der Historie geprägt. Man zieht in eine Schlacht, es stehen sich 2 Heere gegenüber und nach ein paar Tagen ist alles vorbei. So werden ja auch die deutschen Soldaten zitiert: Weihnachten sind wir wieder zu Hause.
Was waren nun die „Interessen“ ?
Russland hatte zu dieser Zeit innenpolitische Probleme. Bereits seit 1905 kam es zu Aufständen in der Arbeiterschaft. Des Zaren Strategie war die übliche: gibt es innenpolitisch Probleme dann schafft man sich außenpolitisch einen Feind und eint damit die Nation.
Frankreich war dem aufstrebenden Deutschland industriell hoffnungslos unterlegen. Spätestens die Weltausstellung in Paris 1900 hatte den Franzosen die fortschrittliche Technik der deutschen Industrie vor Augen geführt. Gleichzeitig war die Geburtenrate in Deutschland höher als in Frankreich. Das bedeutete, dass mit jedem Tag die Schere zwischen Frankreich und Deutschland auseinander ging. Von Jahr zu Jahr würde Deutschland stärker sein als zuvor. Wenn also ein Krieg notwendig war dann aus Sicht der Franzosen besser früher als später. Daneben hatten die sehr patriotischen Franzosen seit der Niederlage von 1871 sowieso eine Revanche gewünscht.
Die Engländer hatten ebenfalls innenpolitische Schwierigkeiten aber primär waren sie an der traditionellen Balance of power auf dem Kontinent interessiert. Ein immer stärker werdendes Deutschland in den Händen eines unkalkulierbaren Kaiser war ein Problem das behoben werden musste. Ein Krieg bot die Lösung. Insbesondere konnte man so die Vormachtstellung auf dem Meer sichern.
Allen großen Ländern gemein war, dass die Jahrhundertwende eine Zeit war welche von übersteigertem Patriotismus bis hin zum Nationalismus geprägt war.
@Dominik, sehr guter Kommentar, dem ich absolut beipflichten muss!
LöschenFast die gesamte europäische Bevölkerung freute sich auf den Krieg - in London und Paris feierten die Massen die Kriegserklärung genauso wie in Berlin. Jeder erwartete einen kurzen Krieg, nicht nur die Deutschen. Junge Männer eilten zu dein Einschreibebüros des Militärs, weil sie Angst hatten, ihre Chance auf soldatischen Ruhm zu verpassen. Gegenseitige Provokationen hatten eine äußerst nationalistisch-feindliche Atmosphäre geschaffen, die nur darauf wartete, sich zu entladen.
Ich stimme Niklas zu: Deutschland und Österreich-Ungarn trugen vielleicht den größeren Teil der Verantwortung - längst jedoch nicht die Alleinschuld.