Wolfgang Kruse
Gastbeitrag zum Monatsthema 8/14
Gastbeitrag zum Monatsthema 8/14
Wolfgang Kruse ist unter anderem außerplanmäßiger Professor für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte an der FernUniversität in Hagen. Für CATO gibt er ein paar Gedankenanstöße zu der Frage nach Verantwortung für den Ersten Weltkrieg.
Aus der Sicht von CATO bin ich
inzwischen (obwohl mir das ganz anders erscheint) wohl ein
konservativer Historiker geworden, weil ich immer noch daran
festhalte, dass das Deutsche Reich zusammen mit seinem Verbündeten
Österreich-Ungarn die Hauptverantwortung für die Auslösung des
Ersten Weltkriegs trug: durch die Anfang Juli 1914 gemeinsam
getroffene Entscheidung, auf das Attentat von Sarajewo mit einem
Krieg Österreichs gegen Serbien zu reagieren und dabei das Risiko
bewusst einzugehen, auch einen Krieg Deutschlands gegen Russland und
Frankreich herbeizuführen; durch die Ablehnung der von England
vorgeschlagenen Vermittlung eines Friedens nach der Kriegserklärung
Österreichs an Serbien Ende Juli; schließlich durch die deutschen
Ultimaten und Kriegserklärungen an Russland, Frankreich und Belgien
Anfang August.
Angesichts dieses Befundes spricht
eigentlich wenig dafür, die „Kriegsschuldfrage“ erneut in den
Mittelpunkt großer Diskussionen zu rücken, und es stellt sich die
Frage, warum gerade in Deutschland heute ein so großes Bedürfnis
nach einer Revision besteht. Der Wunsch nach einer „Normalisierung“
der deutschen Vergangenheit, zumal für die Zeit vor dem
Nationalsozialismus, ist dabei schwer zu übersehen. Wenn dann gar
das Bestreben hinzukommt, endlich auch wieder stolz auf die deutschen
Soldaten des Ersten Weltkrieges sein zu können, beginnt es mich zu
gruseln. Warum sollten wir stolz auf sie sein? Etwa weil sie eine
doch nur vermeintlich ideologiefreie Heimat in Nordfrankreich und
Belgien, in Serbien, Polen, Rumänien, Russland und dem Baltikum
verteidigt haben? Die meisten Soldaten haben das nicht aus freien
Stücken getan und deshalb sollten wir sie, zumal wenn sie umgekommen
sind, doch lieber als Opfer denn als stolze Helden erinnern.
Die Geschichte
des Ersten Weltkriegs ist generell viel zu vielfältig, um sie immer
wieder auf die Kriegsschuldfrage zurückzuführen. Viele wichtige
Themen sind im Vorspann zum Monatsthema angesprochen. Eines aber
scheint mir von besonderer Bedeutung zu sein. Diese „Urkatastrophe
des 20. Jahrhunderts“, die den weiteren Verlauf nicht nur der
europäischen Geschichte tiefgehend und meist zum Schlechten geprägt
hat, ist keineswegs aus heiterem Himmel gefallen. Sie hatte ihre
Wurzeln vielmehr in der vorhergehenden „guten alten Zeit“, wie es
später und auch heute oft beschönigend heißt. Deshalb habe ich den
Ersten Weltkrieg als Ausdruck einer Krise der europäischen Moderne
zu bestimmen versucht, die sich schon vor dem Krieg tief in die
europäische Politik, Kultur und Gesellschaft eingefressen hatte.
Aber Krisen haben mindestens zwei Seiten, und ihre Zuspitzung im
Krieg führte im Gegenzug dazu, nach neuen Lösungsmöglichkeiten zu
suchen: Demokratie, Revolution und Völkerbund wurden so auch zu
Folgen des Großen Krieges, ebenso wie ihr Scheitern auf die
tiefgehende Kontaminierung der europäischen Gesellschaften mit der
Gewalt und dem Nationalismus des Krieges zurückgeführt werden kann.
Generell verschärfen Kriege die
meisten Probleme eher, als sie zu lösen. Aber sie haben ihren
Ausgang, auch das lehrt der Erste Weltkrieg, bereits im Frieden. Wer
den Frieden schützen will, sollte das tun, solange es ihn gibt.
Danach wird es schwerer.
Ich denke, das Bedürfnis einer Revision der Schuldfrage kommt nicht primär vom Bedürfnis, auf die Soldaten "stolz" sein zu können - die meisten wissen kaum etwas über ihre Ahnen, die im Krieg aktiv dabeiwaren. Viel wichtiger ist es für viele, dieses von der Katastrophe des 2.Weltkriegs überdeckte historische Episode aufzuarbeiten. Ungeachtet historischer Fakten wirkt es für veile noch so, als ob die alleinige Kriegsschuld der Deutschen am 1.Weltkrieg durch die Schuld am 2.Weltkrieg legitimiert.
AntwortenLöschenEs ist ein sinnvoller Ansatz, sich auf die Zeit vor dem Kriegs zu konzentrieren. Viel zu oft beginnt die Betrachtung beim Kriegsausbruch, einem Zeitpunkt, an dem die Eskalation bereits abgeschlossen war.
Ich frage mich oft, ob sich die Entwicklungen der "guten alten Zeit" nicht ähnlich oder vergleichbar wiederholen könnten. Die Kriegsbegeisterung war letztlich auch nur Möglich, da der letzte große Krieg für Deutschland über 40 Jahre in der Vergangeheit lag - auch heute können viele Menschen den Schrecken eines Krieges nicht realisieren.
Wer den Frieden schützen will, sollte das tun, solange es ihn gibt. Danach wird es schwerer.
AntwortenLöschenEin sehr schöner Satz, den man sich angesichts der aktuellen Spannungen in der Ukraine hinter die Ohren schreiben sollte!
Das Bestreben, stolz sein zu können auf die Soldaten des Ersten Weltkriegs habe ich so aber auch noch nicht mitbekommen.