Donnerstag, 16. Oktober 2014

Daniel Vedder 

Deutsche sind überpünktlich, Afrikaner sind faul, Amis haben von Geographie keinen Schnall. Vorurteile gibt es über jede Kultur. Doch erst wer über den eigenen Tellerrand hinausschaut, kann von anderen dazulernen.

O. Fischer  / pixelio.de

Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich schon in vier verschiedenen Ländern gelebt. 13 Jahre verbrachte ich in Afrika. Ich kenne Menschen aus über 30 Nationen und habe Freunde auf fast jedem bewohnten Kontinent. Kulturbedingte Auseinandersetzungen sind mir nicht fremd.
Man findet sie überall. Viele Leute finden die deutsche Direktheit unausstehlich. Ein Deutscher wird dir genau das sagen, was er denkt – ohne Beschönigungen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Hierzulande gilt das als Tugend. Anderswo drückt man Kritik lieber vorsichtig, indirekt aus, um den Gegenüber nicht zu verletzen.
Briten und Amerikaner verstehen sich oft nicht gut. Befremdlich, denkt ein Kontinentaleuropäer, schließlich sprechen beide doch (scheinbar) dieselbe Sprache. Doch für Briten sind die Amerikaner ein dekadentes, hochnäsiges Volk, die einen mit ihrem „Wir-sind-die-besten-Weltverbesserungswahn“ eindeutig nerven. Amerikaner hingegen sehen Briten als altmodisch, mit einem komischen Akzent und einem völlig unverständlichen Humor.
Ist das verallgemeinernd? Auf jeden Fall. Aber erstaunlich oft ist es genauso, wie ich es oben beschrieben habe. Denn eine Kultur erschöpft sich nicht in Traditionen, in Essen und Kleidung. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Eine Kultur ist viel mehr als diese Äußerlichkeiten, es ist eine Denkweise. Und wer sich aus den vertrauten Gewässern der eigenen Kultur hinauswagt, wird schnell merken, das Menschen anderswo anders ticken als er (oder sie) selbst. Wer das tut, etwa in einem Auslandsjahr während dem Studium, oder im Rahmen eines FSJ im Ausland, sieht sich mit zwei Alternativen konfrontiert: Entweder er beharrt auf seiner eigenen Kultur und misst alles, was ihm begegnet, an ihren Maßstäben. Tut er dies, so wird er überall Mängel finden, wird sich regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und ausrufen: „Wie kann man das nur so machen?!“ Oder er kann sich auf das Neue einlassen und sich um eine möglichst objektive Herangehensweise bemühen. Dann wird er immer noch ein paar Mängel finden, denn keine Kultur ist perfekt. Was aber viel wichtiger ist, ist dass er anfangen wird, Mängel nicht nur bei anderen zu sehen, sondern auch in seiner eigenen Ursprungskultur. Er wird merken, dass nur weil er von Haus aus an eine bestimmte Vorgehensweise gewöhnt ist, diese nicht unbedingt die beste ist. Vielleicht machen es andere Kulturen besser. Aber erst, wenn er sich die Zeit genommen hat, diese Kulturen wirklich zu verstehen, wird er in der Lage sein, sich das Gute aus ihnen herauszusuchen und es in seine Persönlichkeit einzugliedern.
Ein Beispiel: wie oben erwähnt, gilt es in Deutschland als Tugend, zwischenmenschliche Probleme direkt mit der betroffenen Person anzusprechen. Das hat seine guten Seiten. Es ist auf jeden Fall besser als hinter ihrem Rücken über sie zu lästern und das Problem so nur noch zu verschlimmern. Allerdings geschieht dieses Ansprechen oft alles andere als liebevoll und kann tiefe Verletzungen hinterlassen. In manchen Teilen von Afrika gibt es jedoch eine etwas andere Herangehensweise. Wenn man hier ein Problem mit jemanden hat, spricht man ihn nicht direkt darauf an. Stattdessen sucht man sich einen Vermittler, eine dritte Person, die selber nicht direkt involviert ist, die aber von beiden Seiten respektiert ist. Dieser Vermittler kann dann als Neutraler versuchen, den Streit zu schlichten. Da es nicht zu einer direkten Konfrontation kommt, werden Gefühlsausbrüche, mit den damit verbundenen unüberlegten Wortwechseln, weitgehend vermieden und somit entstehende Verletzungen minimiert. In manchen Situationen kann diese Herangehensweise durchaus bessere Resultate erzielen, als die „deutsche“ Lösung.
Oft lernt man auch, dass eine bestimmte Angewohnheiten sowohl gute als auch schlechte Seiten hat. So sind Deutsche sehr zeitbewusst. Wenn die Bahn zwei Minuten Verspätung hat, wird gegen die „unfähige Leitung“ gewettert. Besprechungen starten fast auf die Sekunde genau. In vielen Teilen der Welt ist man da sehr viel gelassener. Wenn der Bus anderthalb Stunden später fährt als angekündigt, ist das halt so. Besprechungen fangen dann an, wenn alle da sind – wann auch immer das sein mag. Mit einer solchen Einstellung hätte sich Deutschland wahrscheinlich nie zu dem hocheffizienten Industriestaat entwickelt, der es heute ist. Insofern ist dieses Zeitbewusstsein ein integraler Teil der hochgelobten deutschen Effizienz. Andererseits könnten sich Deutsche viel Stress sparen, wenn sie Sachen etwas entspannter angehen würden. Trotz minutiöser Planung können Sachen schiefgehen. Dann würden wir gut daran tun, nicht sofort ein Herzinfarkt zu kriegen, sondern die Dinge so zu nehmen, wie sie halt sind und versuchen, so gut wie möglich damit klarzukommen.
Interessant ist auch, dass in Kulturen, die etwas flexibler mit ihrem Zeitmanagement sind, man sich viel mehr Zeit nimmt, um Beziehungen zu pflegen. Wenn man einen Bekannten auf der Straße trifft, bleibt man stehen und redet mit ihm. Man kann seine Freunde jederzeit besuchen gehen, ob ausgemacht oder nicht. Manchmal muss dann halt eine Besprechung warten, weil ich auf dem Weg dorthin einen Cousin getroffen habe – das ist die Kehrseite dieser Medaille. Aber ein wenig mehr Freundlichkeit und Flexibilität würde der kalten deutschen Kultur auf jeden Fall nicht schaden.
Solche Sachen bemerkt man erst, wenn man eine Zeit lang in einer anderen Kultur gelebt hat und sich wirklich auf diese eingelassen hat. Letzteres ist nicht leicht, nicht umsonst spricht man von „Kulturschock“. Doch es ist den Aufwand auf jeden Fall wert, denn wer es wagt, der wird mit einem stark erweiterten Weltbild belohnt. Man ist nicht mehr in seiner angeborenen, engstirnigen Denkweise gefangen, sondern weiß, dass es zu verschiedenen Problemen verschieden Lösungsmöglichkeiten gibt und kann sich die beste aussuchen. Und selbst wenn man nicht damit einverstanden ist, wie eine Person aus einer anderen Kultur etwas macht, so versteht man dennoch, warum sie so handelt. Und das ist wahre Völkerverständigung.


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3 Kommentare:

  1. Mit anderen Worten, lieber Daniel: Hinter dem Berg wohnen auch Menschen - das sagte schon Robert Schumann, Komponist seines Zeichens.

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  2. @Hans
    in der Talkshow Doppelpass kostet so eine Aussage 5 € zugunsten des Phrasenschein

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  3. Auf jeden Fall ist es wichtig, sich mit anderen Kulturen zu beschäftigen. Durchaus kann es die eigene Persönlichkeit verbessern oder abrunden wenn man sich das Gute an anderen Kulturen zu Eigen macht. Ich denke andere Kulturen haben noch nicht einmal Mängel, sondern einfach andere Schwerpunkte in den Ausprägungen ihrer Gepflogenheiten.
    Stark international tätige Unternehmen aber auch Hochschulen lehren Ihren Mitarbeiten oder Studierenden interkulturelle Kompetenz. Dies beinhaltet Informationen und Trainings über die Besonderheiten der jeweiligen Länder. Gerade Studenten welche via Erasmus ein Auslandssemester planen oder anderweitig international studieren wollten sollten sich auf das jeweilige Land vorbereiten.
    Eine gute Vorbereitung ist das bereits erwähnte Training an der Hochschule. Daneben ein Buchtipp:
    Richard D Lewis: When Cultures Collide, ISBN 978-1-904838-02-9

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