Dienstag, 29. April 2014

Michael Reinhart
Wettbewerbsbeitrag - Jugend denkt Europa

Bei der Europäischen Union handelt es sich um eine Union der Eliten. Und das ist auch gut so, denn nur so sind wenigstens kleine Schritte zu einer dringend notwendigen politischen Union möglich.



Manchmal frage ich mich, warum ich an Europa glauben soll, wenn sich selbst unsere Politiker heute nicht einig sind. Früher war das anders. „Europa ist unsere Zukunft. Sonst haben wir keine.“ skandiert Genscher jedes Mal, wenn man ihn wieder einmal zu dem Thema befragt. Bis zum Europaschulpreisträger hat er es mit dieser Phrase geschafft. Zwar betont Angela Merkel stets die Alternativlosigkeit eines starken Deutschlands in einem starken Europa, doch Andreas Scheuer, Generalsekretär der Schwesterpartei CSU spricht von einem „dicke(n) Aber“ bei der Zustimmung zu Europa. Zwar gibt es dieses Jahr zum ersten Mal europaweite Spitzen-kandidaten der großen Europaparteien für das Amt des Kommissionspräsidenten, doch plakatiert wird in Deutschland nur Angela Merkel und nicht Jean-Claude Juncker. Ob der nach einem möglichen Wahlerfolg das Amt bekäme oder möglicherweise doch noch einem internen Machtkampf zum Opfer fallen würde, steht ohnehin noch in den Sternen – so viel zur Abschaffung der Hinterzimmer-Politik in Europa: Ein schwacher Wähler in einem starken Deutschland in einem starken Europa. Oder so. Als Wähler findet man sich in dem Wust aus europäischen Institutionen, Parlamenten, Räten und Gremien ohnehin nicht mehr zurecht. Warum dann auf Inhalte setzen, wenn man auch mit Plakaten von „Bundesmutti“ Angela Merkel werben kann? Und wer würde schon David McAllister oder Jean-Claude Juncker auf einem Wahlplakat erkennen? Dann lieber – im Sinne von „never change a Bundestagswahl-winning Kampagne“ – auf die Bundeskanzlerin setzen, die überhaupt nicht zur Wahl steht und den Wähler mit wohlig-warmen Sätzen wie „Die wichtigsten Dinge erreicht man nur gemeinsam. Deshalb ist Europa gut für unser Land.“ einlullen. Dabei wäre gerade jetzt die Zeit reif, einmal mit Inhalten zu überzeugen. Denn Europa kann überzeugen, muss überzeugen, wenn es Bestand haben will. Und Europa hat gute Argumente, die immer wieder aktuell sind. Nur vereint kann Europa für die Sicherheit der Daten seiner Bürger, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen sorgen. Nur vereint kann Europa im Kampf gegen den Klimawandel den scheinbar übermächtigen Gegenspielern eine Stimme entgegenbringen. Doch Europa kämpft nicht gegen die Spionage der NSA. Nicht einmal ein „No-Spy-Abkommen“ werden unsere Politiker aushandeln können – selbst das wäre nur ein erster kleiner Schritt bei der Aufarbeitung dieser uns alle betreffenden Affäre gewesen. Und die Energiewende funktioniert nicht einmal in Deutschland, von einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik ganz zu schweigen.

Kann oder will Europa die großen Fragen nicht angehen, für deren Lösung es konzipiert wurde? Beide Alternativen wären fatal und begründen die Skepsis, mit der viele Europäer das Geschehen in Brüssel beobachten. Doch Europa verzettelt sich lieber im Klein-Klein von Bananenkrümmung und dem Unterschied zwischen Feta und in Salzlake gereiftem Schafskäse. Auch das trägt entscheidend zur Missgunst vieler EU-Bürger bei.


Dabei liegt die Lösung für dieses Problem eigentlich auf der Hand: Neben der Wirtschafts-union, die sich (mit einer Ausnahme: Griechenland) für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gelohnt hat, wie ein aktuelles Paper1 wieder beweist, braucht es nun eine politischen Union in Europa. Mehr Europa, dass sich nicht nur um die Länge von Gurken oder Kondomen kümmert, sondern ein Europa, welches sich, gestärkt durch den Rückhalt einer halben Milliarde Europäer, zutraut, in den wichtigen Fragen unserer Zeit hart zu bleiben und auf europäische Grundsätze zu pochen. So äußerte sich vor kurzem auch Alan Greenspan, der langjährige Chef der amerikanischen Zentralbank Fed.


Hierbei vergisst er jedoch, dass Europa nicht wie die USA ein Nationalstaat ist, sondern ein im Vergleich relativ lockerer Zusammenschluss von 28 Staaten mit jeweils eigener Geschichte, Sprache und Kultur. In Europa ist es im Moment und auch für die nächsten 100 Jahre undenkbar, eine politische Öffentlichkeit aller EU-Bürger zu schaffen, denn wir alle sind in viel größerem Maße von nationalen Diskussionen geprägt, als von innereuropäischen. Europa besteht eben nicht nur aus einem Volk, welches sich eine Verfassung geben könnte, sondern aus vielen unterschiedlichen Völkern. Deswegen erinnert das Europa von heute auch so stark an das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Auch dieses war schon in seinen politischen Institutionen für Außenstehende quasi undurchschaubar. Selbst die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise, eine Zeit in der in ganz Europa über ähnliche Themen diskutiert wurde, eine Zeit in der man zusammenstand und einander half, konnte die Bürger Europas nicht näher zusammenbringen, ganz im Gegenteil. Viele europakritische Parteien hatten in diesen schwierigen Jahren einen Aufschwung, der bis heute anhält.
Ohne eine politische Öffentlichkeit in Europa kann es aber auch keine politische Union geben, so wünschenswert diese auch wäre. Dieses Dilemma hat schon Helmut Kohl erkannt, der immer wieder einen stärkeren supranationalen Charakter der Europäischen Union forderte, gleichzeitig aber einsah, dass dies den Bürgern nicht zu vermitteln ist. Daran hat sich nichts geändert. Auch heute sind die kulturellen Unterschiede zwischen den Staaten noch zu groß, um die breite Masse der europäischen Bevölkerung von einer politischen Union in Europa zu überzeugen.


Dennoch erhalten die Institutionen der EU immer mehr Macht, zuletzt beispielsweise das EUParlament mit dem Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, einen ganz enormen Zuwachs an Gesetzgebungskompetenz. Diese Tatsache lässt nur einen Schluss zu (und das ist eigentlich kein Geheimnis): Die EU ist eine Union der Eliten. Die Europäische Union wurde gegründet, weil die damaligen Staats- und Regierungschefs dies für sinnvoll hielten und hat seitdem immer mehr Kompetenzen erhalten. Dabei ging es nie und geht es immer noch nicht darum, die Bevölkerung in diese Entwicklung besonders mit einzubeziehen oder ihr die Union schmackhaft zu machen. „Europa ist unsere Zukunft. Sonst haben wir keine.“, damit hat Genscher recht. Wir sind auf einem Weg hin zu einer politischen Union, ob wir das wollen oder nicht.


Anmerkungen:
(1) http://www.touteconomie.org/afse/index.php/congres/2013/paper/viewFile/277/295

9 Kommentare:

  1. Eine interessante These - eine politische Union ist möglich, aber mittelfristig nicht mir einer europäischen Öffentlichkeit.
    Ich denke, dass dies durchaus zutrifft. Ich frage mich, was die Folgen davon sein könnten - und ob es nicht dringend notwendig ist, eine europäische Öffentlichkeit zu ermögliche. Dabei denke ich gerade an die Europadebatte gestern - das war ein erster Schritt hin zu einer europäischen Öffentlichkeit. Aber wenn man bedenkt wie viele Menschen das tatsächlich gesehen haben, war es wohl doch eher eine Sache der Eliten...

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  2. Mittelfristig ist es vielleicht schon möglich, eine stärkere politische Union ohne große Einbindung der Öffentlichkeit zu schaffen. Lange halten wird sie aber nicht.
    In Weimar war es schließlich ähnlich: u.a. wegen dem Druck der Siegermächte wurde eine Republik eingeführt, statt die Monarchie weiter zu demokratisieren. Und obwohl die Revolution von 1918 anfangs durchaus Sympathisanten in der Bevölkerung hatte, konnte sie sich nie die volle Unterstützung der Massen sichern. Entsprechend schnell kam dann der Zusammenbruch in den Jahren der Wirtschaftskrise. Ohne das Volk geht es halt doch nicht.

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  3. Spannende Sache, diese europäische Öffentlichkeit oder die Frage nach dem "Demokratiedefizit". Einige Autoren (z.B. Grimm, 1995) kommen zu dem Ergebnis, dass ein europäischer Demos, also ein europäisches Volk nicht existent ist. Somit gibt es auch keine europäische Öffentlichkeit - und das auf lange Sicht.
    Das kann man jetzt auch anders herum sehen: Natürlich kann man auch europäische Instiutionen schaffen, ohne eine europäische Öffentlichkeit im Hintergrund. So ist die Europäische Union ja entstanden und so funktioniert sie heute noch. Aber dann sollte das auch so kommuniziert werden.
    Ich sage nicht, dass man diese europäische Öffentlichkeit nicht erreichen kann. Aber allein, wenn man sich die Sprachbarriere ansieht, kann man doch nicht davon ausgehen, dass das nicht Jahrhunderte dauern wird. Deswegen sind andere Projekte erst einmal wichtiger, zum Beispiel so etwas wie eine politische Union zu schaffen. Das sieht man jetzt auch wieder am Wahlkampfverhalten der Parteien.

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    1. Ich halte es auch für die erste Priorität, eine politische Union zu schaffen. Aber mir fällt es schwer, auf die Stabilität einer politischen Union vertrauen, die keine Union der Völker kennt.
      Es gibt wirklich kein europäisches Volk. Aber ich bezweifle, dass es Jahrhunderte dauert, bis ein solches ensteht. Es ist doch letztlich nur eine Kopfsache.
      Niemand bezweifelt, dass es in den USA eine politische Öffentlichkeit gibt, ebenso wie eine Nation - und das nicht erst seit gestern. Es ist dort in relativ kurzer Zeit gelungen, eine politische Nation zu schaffen, obwohl es zahlreiche verschiedene kulturelle Hintergründe gab, ebenso wie Sprachbarrieren und politische Differenzen.
      Die Preisfrage lautet: wenn eine gemeinsame Öffentlichkeit zu einer politische Union führen kann, führt dann auch eine politische Union zu einer europäischen Öffentlichkeit?

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    2. Die USA kann man hier leider schlecht als Vergleich heranziehen. Natürlich gab es hier eine ebenso große, wenn nicht noch größere, kulturelle Vielfalt, die im großen und ganzen relativ gut vereinigt wurde. Jedoch entstand sie völlig anders. Die Gründer der USA waren durchwegs Einwanderer, die sich mehr oder weniger bewusst von ihrer alten Heimat abgekuppelt hatten, und etwas Neues aufbauen wollten. Sie konnten sich vereinen, weil sie erstens mal relativ wenige waren und zweitens durch die Erfahrung des Neuanfangs bereits geeint waren.
      In Europa haben wir diesen Neuanfang nicht. Stattdessen haben wir eine Gruppe bereits etablierter Völker, die alle stark in ihrer eigenen Geschichte verwurzelt sind. Das sind völlig andere Startvoraussetzungen, die eine echte Einigung leider auch um einiges schwieriger machen.

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    3. Wird nicht allgemein der 2. Weltkrieg als dieser Neuanfang angesehen?
      Und haben die europäischen Völker nicht immer mehr eine gemeinsame Geschichte, die sie eher verbindet als trennt?

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    4. Die letzte wirklich gemeinsame Geschichte hatte Europa unter Karl dem Großen... Natürlich gab es immer wieder Epochen, in denen ein paar Länder mehr oder weniger zusammengearbeitet haben. Aber eine verbindende Geschichte kann ich nicht sehen - oder fällt dir irgendeine Zeit ein, in der auch nur 50 Jahre am Stück Frieden herrschte in ganz Europa?
      Der 2. Weltkrieg war natürlich schon eine einschneidende Zäsur. Allerdings muss man bedenken, dass längst nicht jedes Volk sein Selbstbild danach so komplett geändert hat wie die Deutschen.
      Aber ich glaube, wir schweifen vom Thema ab ;-)

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    5. Da stellt sich jetzt die Frage, ob gemeinsame Geschichte die Prämisse eines gemeinsamen Staates verlangt....
      Aber wir schweifen wirklich vom Thema ab.

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    6. Nach der Bundestagswahl 2013 hat die Süddeutsche eine Wahlanalyse veröffentlich. Kernaussage war: die Wahl wurde von den gutsituierten und den gebildeten Bevölkerungsteilen entschieden weil diese gewählt haben. Der ärmere und der wenig gebildete Teil der Bevölkerung in Deutschland ist nicht zur Wahl gegangen. Beispielhaft wurden die Ergebnisse verschiedener Wahlbezirke in München beschrieben.
      Der weniger gebildeten Bevölkerungsschichten verstehen vielleicht gerade noch die Funktionsweise ihres Gemeinderates vor Ort. Da kennen sie den Bürgermeister und die Gemeinderäte und die Enscheidungsfindung im örtlichen Gemeinderat. Und dafür interessieren sie sich dann womöglich auch. Darüber hinaus wird es schon schwierig. Der Bürger wissen wer ihr Bürgermeister, ist und kennen die Kanzlerin. Aber bitte – wer steht an der Spitze von Europa? Und wer ist mein zuständiger MdEP ?
      Sie kennen evtl. noch halbwegs die Funktionsweise des politischen Berlin. Aber wie funktioniert Politik in Brüssel?
      Wenn die Bürger aber die Zusammenhänge nicht verstehen gehen sie auch nicht wählen. Lethargie und Verdrossenheit sind die Folgen. Bei Europa erst recht denn die Wahlbeteiligung ist deutlich unter dem der Bundestagswahl. Es wählen auch viele Bildungsbürger nicht.
      Für Europa bedeutet dies noch in stärkerem Maße: Die Politik in Brüssel nicht vom Bürgerwillen bestimmt da die Mehrheit nicht wählt und sich mit diesem Parlament nicht identifiziert. Europa wird von jenen regiert und damit repräsentiert, welche die Funktionsweise der Institutionen Europas verstehen, oder sich mit Lobby und Beratern erklären lassen. Diese nehmen Einfluss auf die Institutionen welche die Geschicke Europas bestimmen. Es sind in der Tat die Eliten. Allerdings nicht die Eliten im intellektuellen Sinne, sondern die politischen und wirtschaftlichen Eliten der jeweiligen Länder. Oder die supranationalen Verbände und Organisationen. In jedem Fall aber die, welche gebildet genug, potent und willens sind sich zu organisieren.
      Das muss geändert werden.

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