Mittwoch, 18. September 2013

Daniel Vedder
Monatsthema 8/13
Freiheit und Sicherheit sind seit Anbeginn der Demokratie zwei Begriffe, die gegeneinander ausgespielt werden. Wie weit darf die Freiheit gehen, um die Sicherheit nicht zu gefährden? Oder anders herum, wie viel Sicherheit kann man schaffen, ohne die Freiheit des Individuums zu gefährden?

Vor kurzem wurde auf CATO ein Artikel zur Prism-affäre veröffentlicht1, dessen anschließende Diskussion den Themenbereich anschnitt, den ich im Folgenden behandeln will. Es kam die Frage auf, ob die USA noch als das „land of the free“ betrachtet werden könne, als das sie sich seit ihrer Unabhängigkeit ausgibt. Ein Teilnehmer verwies auf einen Artikel der Washington Post mit dem vielsagenden Titel „10 reasons the U.S. is no longer the land of the free“2, datiert vom Januar diesen Jahres. Der Autor dieses Artikels zeigt Entwicklungen in den Vereinigten Staaten seit dem 9/11 auf, die, im Namen des Kriegs gegen den Terror, die rechtliche Freiheit der Bürger deutlich beschränken. Ich beziehe diese Diskussion nun auf das Monatsthema August und frage deshalb: Inwieweit darf die Freiheit des Individuums begrenzt werden, um die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten?
Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich kurz erläutern, wie ich die wichtigsten Begriffe in dieser Frage verwende. Mit „Individuum“ ist im Nachfolgenden ein einzelner Staatsbürger gemeint, während sich „Gesellschaft“ auf eine nationale, politische Staatsgesellschaft bezieht. „Freiheit“ ist die Summe aller Rechte, die die Individuen einer Gesellschaft ausüben können, während „Sicherheit“ mit der Gewährleistung und Sicherung dieser Rechte gleichzusetzen ist. Doch nun zur eigentlichen Diskussion.
Benjamin Franklin sagte einst: „Diejenigen, welche ein wenig notwendige Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“3 Als einer der Gründerväter der USA lag ihm die Freiheit natürlich sehr am Herzen, für die er und andere so lange gekämpft hatten. Daher rührt dieser Satz, der einen so starken Gegensatz bildet zur heutigen sicherheits-orientierten US-Gesellschaft.
Ganz zustimmen würde ich Franklin hier nicht. Denn es gibt Situationen, in denen der Staat paradoxerweise die Freiheiten seiner Bürger einschränken muss, um eben jene zu erhalten. Bestes Beispiel hierfür ist der Verteidigungsfall. Dem Staat obliegt der Schutz seiner Bürger und ihrer Freiheit, folglich muss er sich zur Wehr setzen, wenn ein fremdes Land droht, das Recht seiner Bürger auf Selbstbestimmung durch eine Invasion und Besetzung zu beeinträchtigen. Nun braucht aber eine Verwaltung, die eine effektive Verteidigung koordinieren muss, eine größere Handelsbefugnis als eine Regierung in Friedenszeiten. So erlaubt beispielsweise in Deutschland Art.17a §2 GG, dass bestimmte Grundrechte per Gesetz eingeschränkt werden dürfen, um die Bevölkerung zu schützen und zu verteidigen.
Ein ähnliches Beispiel liefert Art. 18 GG: Wer seine Grundrechte missbraucht, um die freiheitliche demokratische Ordnung zu bekämpfen, dem stehen diese nicht mehr zu. Hier findet sich eine Lehre aus der Weimarer Republik; dieser Absatz soll verhindern, dass nochmals eine freie Gesellschaft ihren Feinden eigenhändig Tür und Tor öffnet.
Wir sehen also, dass es unter bestimmten Umständen geboten ist, die Freiheit des Individuums zu beschränken, um die Gesellschaft zu sichern; denn erst wenn die Gesellschaft gesichert ist, kann sie den Fortbestand der individuellen Freiheit gewährleisten. Man muss dabei jedoch betonen, dass dies Ausnahmefälle sind, die entweder zeitlich begrenzt sind (Verteidigungsfall) oder nur bestimmte Leute treffen (Verwirkung der Grundrechte).
An einer solchen begrenzten Einschränkung der individuellen Freiheit ist also prinzipiell nichts auszusetzen, solange sie von einer Gesellschaft durchgeführt wird, in der wirklich das Volk herrscht. Je mehr wahre Demokratie umgesetzt ist, desto mehr kann es sich eine Gesellschaft leisten, die Rechte ihrer Bürger teilweise zu beschränken, da dies immer zu deren Besten geschehen wird. In der Theorie ist dies kein Problem. Doch leider ist der Mensch kein perfektes Wesen. Wie verhält es sich also in der Praxis?
Thomas Jefferson schrieb: „Der natürliche Lauf der Dinge ist es, dass die Freiheit nachgibt und die Regierung Boden gewinnt.“3 Ebenso Plato: „Diktaturen entstehen natürlicherweise aus Demokratien, und die schlimmsten Formen der Tyrannei aus der extremsten Freiheit heraus.“3 Diese paradoxe Sicht scheint sich in der Geschichte zu bestätigen. Präsidenten werden nach dem Willen des Volkes gewählt, werden aber zu Diktatoren (so z.B. Venezuelas Hugo Chavez4). Die NS-Diktatur wurde aus der Weimarer Republik geboren, der „ultimativen Demokratie“, die sich zu einer „Demokratie ohne Demokraten“ wandelte. Die USA, bekannt als „land of the free“, hat mittlerweile in ihrem Kampf gegen den Terrorismus u.a. das Recht auf habeas corpus ausgesetzt, sowie die gezielte Tötung von ihren Bürgern auf Geheiß des Präsidenten erlaubt und geheime Gerichtshöfe der Spionageabwehr eingerichtet.
Jonathan Turley, Autor des oben genannten Washington Post Artikels, bemerkt völlig richtig, dass autokratische Nationen nicht nur darüber definiert sind, dass sie autokratische Macht ausüben, sondern auch darüber, dass ihre Regierungen in der Lage sind, diese Macht auszuüben. Um es mit Ronald Reagan zu sagen: „Konzentrierte Macht war schon immer der Feind der Freiheit.“3 Es sei denn, diese Macht liegt beim Volk.
Genau deswegen sollten wir extrem vorsichtig damit sein, in welchem Maß wir als Bürger eines demokratischen Landes die Beschränkung unserer Rechte zulassen. Ein paar Beschränkungen sind unumgänglich. Aber zwischen einer sicheren Demokratie und einem totalitären Sicherheitsstaat ist es oftmals eine allzu schmale Gratwanderung.
Welche Antwort soll ich nun auf die oben gestellte Frage geben? Inwieweit darf die Freiheit des Individuums begrenzt werden, um die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten? Meiner Meinung nach nur so weit, dass die Demokratie nicht gefährdet ist. Auch, wenn diese Gefährdung nur eine potentielle ist. Ich schliesse mit den berühmten Worten der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung:
Wir halten diese Wahrheiten für selbsteinleuchtend, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräusserbaren Rechten ausgestattet wurden, zu denen Leben, Freiheit, und das Streben nach Glück gehören;
Dass, um diese Rechte zu sichern, Regierungen eingesetzt worden sind unter den Menschen, die ihre gerechte Macht aus der Zustimmung der Regierten erhalten; dass wann auch immer eine Regierungsform diese Ziele zerstört, es das Recht des Volkes ist, diese zu ändern oder zu entfernen; und eine neue Regierung einzusetzen, deren Fundament sie auf solche Prinzipien gründen, und deren Mächte sie in solcher Form organisieren, wie es ihnen scheint dass sie am wahrscheinlichsten ihre Sicherheit und ihr Glück gewährleisten.5

Quellen
  1. Anonym (2013) „Edward Snowden, die NSA und die deutsche Souveränität“, CATO http://cato-online.blogspot.de/2013/08/edward-snowden-die-nsa-und-die-deutsche.html
  2. Jonathan Turley (2013). „10 reasons the U.S. is no longer the land of the free“, Washington Post http://articles.washingtonpost.com/2012-01-13/opinions/35440628_1_individual-rights-indefinite-detention-citizens
  3. Alle Zitate von BrainyQuote®: www.brainyquote.com/quotes/keywords/liberty.html, übersetzt vom Autor
  4. Roger F. Noriega (2009) „From Democracy to Dictatorship“, The American http://american.com/archive/2009/february-2009/from-democracy-to-dictatorship
  5. United States Declaration of Independence, Wikisource, übersetzt vom Autor http://en.wikisource.org/wiki/United_States_Declaration_of_Independence

9 Kommentare:

  1. Ein gut recherchierter, fundierter und trotz der naturgemäßen Kürze diesem Thema gerecht werdender Artikel.
    Nur eie kleine Anmerkung: Jonathan Turley, ebenso wie die Gründerväter und einige Amerikaner heute, die sich vehement für Freiheit einsetzen, sind anachistisch angehaucht. Schließlich sei Anachismus ja die Freiheit in Perfektion. Um es kurz zu fassen: Ja, Anarchismus heißt volle Freiheit, jedoch auch schutzlose, schwache und leicht begrenzbare Freiheit. Anachrismus ist wie eine Oligarchie Freiheit für die Starken.

    "Inwieweit darf die Freiheit des Individuums begrenzt werden, um die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten? Meiner Meinung nach nur so weit, dass die Demokratie nicht gefährdet ist."

    Dies ist eine fragwürdige Lösung. Damit wäre die politische Freiheit geschützt - es gibt aber so viel mehr. Nach dieser Definition dürfte ich dich einsperren, solange du nur deine Meinung frei vertreten und aktives wie passives Wahlrecht hättest. Kleiner Scherz.

    Diese Fragestellung kann man nicht allgemein gültig, nur provisorisch-politisch beantworten. Es ist eine Frage der politischen Meinungsbildung, und damit von (Partei)Politik. Wer eine Überzeugung hat, muss sie einbringen, um sie zu verwirklichen. Man kann diese Fragestellung nicht lösen wie eine Gleichung.

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  2. "Dies ist eine fragwürdige Lösung. Damit wäre die politische Freiheit geschützt - es gibt aber so viel mehr. Nach dieser Definition dürfte ich dich einsperren, solange du nur deine Meinung frei vertreten und aktives wie passives Wahlrecht hättest."

    Ja, könntest du. Aber ich könnte dich abwählen, und dich durch jemanden ersetzen, der mich wieder rausholt. Ich denke, dass politische Freiheit die Vorbedingung für jede andere Form von permanenter Freiheit ist. (Wobei angemerkt werden muss, dass Demokratie nicht notwendigerweise das Glück aller garantiert, sondern nur das Glück der meisten. Wenn es gut geht.)

    Natürlich ist diese Lösung keine perfekte (falls es diese überhaupt gibt). Dennoch ist es eine Richtlinie, die durchaus praxistauglich sein dürfte.

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  3. Ich müsste kein Politiker sein, und abwählen wäre hier kein Druckmittel mehr.
    Freiheit hat man entweder ganz, oder gar nicht. Es gibt nur eine hauchdünne Schicht an Beschneidung, die gewährt werden muss, um die Freiheit aller zu sichern.
    Politische Freiheit allein sit so viel Wert wie ein Auto, dass nur aus Motor besteht.

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  4. Wieviel Freiheit das Individuum und wieviel der Staat haben soll ist in Demokratien wie ein Pendel das mal in die eine mal in die andere Richtung ausschlägt.
    Ein aktuelles Beispiel in Deutschland ist die Finanzkrise und die Frage der Freiheit des Wirtschaftens. In den letzten 20 Jahren bis zur Finanzkrise wurde von starken liberalen Kräften in den westlichen Gesellschaften die Marktwirtschaft gepredigt. Also Freiheit des „Individuums“. Die Freiheit des kapitalistischen Wirtschaftens in der Finanzwelt wurde wohl zu groß. Das Pendel ist zu weit ausgeschlagen. In der Folge und als Konsequenz haben nun die staatsdirigistisch orientierten Kräfte die Oberhand. Selbst die FDP ist ist zumindest bedingt für mehr Regulierung der Banken. Der Staat als der bessere Unternehmer wird als Mainstream propagiert. Das Pendel bewegt sich Richtung Staat. Mehr Staat und weniger Freiheit in der Wirtschaft wird sicher einige Jahre akzeptiert werden. Bis die Wähler wieder zur Einsicht kommen dass zu viel Staat nicht gut ist. Die Sehnsucht nach weniger Staat und mehr Individuum in der Wirtschaft wir steigen. Die nächste Gegenbewegung kommt sicher.
    So sehe ich auch die Tendenz in Amerika hinsichtlich der angesprochenen Überwachung. Vor 9/11 haben gerade die Republikaner den bösen Staat aus Washington gegeißelt. Bei Wahlen war es schwer nach mehr Staat zu rufen. Nach 9/11 war der Wunsch nach vermeintlicher Sicherheit hoch. Durch diesen Schock waren die Bürger bereit Freiheiten abzugeben. Gewählt wurden Parteien welche Sicherheit versprachen - auch zu Lasten der individuellen Freiheit. Das Pendel schlug in Richtung Staat aus. Sobald aber 9/11 – zumindest teilweise - vergessen ist werden die Bürger wieder Ihre individuellen Freiheiten zurückfordern. Das Pendel wird sich wieder Richtung Individuum bewegen. Snowdon und die Diskussion über die Rolle der NSA sind erste Anzeichen der Gegenbewegung.
    Diese großen und wechselnden Trends in den Gesellschaften sind nur möglich wenn demo-kratische Freiheiten vorhanden sind. Ohne Demokratie und v. a. D. ohne Chancengleichheit der Parteien wären solche Bewegungen nicht möglich.
    Daher denke ich dass politische Freiheiten und Demokratie eine Grundvoraussetzung in dieser Diskussion ist. Ohne diese Freiheit kann sich das Pendel nicht bewegen. Der Mensch wäre im Status quo verhaftet. Russland und Venezuela sind solche Beispiele.

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  5. Es gibt und gab immer Fluktuationen in allen Bereichen, bei Demokratien gibt es sie in der politischen Diskussion besonders. Freiheit ist hier nur ein Beispiel.
    Worauf ich aber in Anschluss an den Text hinauswill, ist, dass politische Freiheit zur Bestimmung der richtigen Definiton an Freiheit notwendig ist, politische Freiheit allein aber niemals ausreichend ist.
    Politische Freiheit ist elementar zur Freiheitsdefiniton, umfassende Freiheit ist aber eine Bedingung für politische Freiheit. Dies ist auch der Grund, weshalb unfreie Systeme erst vollständig ausgeschaltet werden müssen, um eine Demokratie zu kreieren. Est wenn umfassende Freiheit erreicht ist, kann auch die Politik frei sein.

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  6. @Anonym
    Das Pendel finde auch ich einen plausiblen Erklärungsansatz. Unsere Verantwortung als Bürger ist es, sicherzustellen, dass es nicht zu weit in eine Richtung schwingt. Zwar ist auch das noch umkehrbar, doch nur mit großen Schwierigkeiten. (U.U. könnte dann sogar, falls es zu sehr Richtung Staat ausschwingt, einer Revolution vonnöten sein, was ich nicht hoffe.) Auch hier ist die Demokratie von höchster Wichtigkeit, da sie es ist, die uns die Kontrolle über den Pendel verschafft.

    @Niklas
    "Politische Freiheit ist elementar zur Freiheitsdefiniton, umfassende Freiheit ist aber eine Bedingung für politische Freiheit."
    Könntest du den Satz bitte noch einmal erklären?

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  7. Politische Freiheit brauchen wir, um im demokratischen Staat das Pendel zu begrenzen (ergo um eine Partei wählen und damit zur Regierungsverantwortung bringen zu können, die unserer Vorstellung von Freiheit entspricht).
    Jedoch brauchen wir Freiheit in allen Bereichen, um die politische Freiheit leben zu können. Wir brauchen Freizügigkeit, Menschenrechte, Chancengleichheit (auch diese gehört zur Freiheit), um uns frei zu entfalten, unsere Meinung bilden zu können, uns mit der Politik auseinandersetzen zu können und wollen, um am Ende auch die Politik mitbestimmen zu können.

    Davon leben ja unfreie Systeme. Sie lassen ihren Bürgern ein recht hohes Maß an poltischer Freiheit (manchmal; recht hoch heißt nicht ausreichend). Durch die Beschränkung anderer Freiheiten aber wird Politik zur Nebensache, es gibt zu viele andere Probleme. Ich denke hier an Resignation, Apathie wie am Ende der Weimarer Republik.

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  8. "Jene, die Freiheit aufgeben, um eine vorübergehende Sicherheit zu erwerben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit." Benjamin Franklin

    Der Artikel gefällt mir. In meiner Ausstellung "Politik und Religion" zeige ich neben meinen Bildern auch Zitate zu dem Thema Überwachung. Es würde mich freuen, wenn ihr meine neue Online-Galerie mal besucht. Hier mehr über mich und meine Arbeiten: http://www.freidenker-galerie.de/politik-und-religion-acrylbilder-weisheiten-zitate/

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CATOteam 2013
Ceterum censeo...