Donnerstag, 19. März 2015

Niklas Götz
Man mag vom Kapitalismus und der freien Marktwirtschaft die Meinung haben, die man will - Fakt bleibt jedoch, dass sie dazu führen, dass immer mehr Lebensbereiche kommerzialisiert und, um wettbewerbsfähig zu bleiben, auch immer stärker industrialisiert werden - kann diese Entwicklung dauerhaft sein?
"Björn Müller" / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc-nd)
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de
 
Früher war wirklich nicht alles besser, aber manches anders.
So waren soziale Netzwerke noch nicht die Angelegenheit von großen Konzernen, genauso wenig wie der Inhalt von Tagebüchern, Kundenmeinungen, Partnersuche, persönliche Daten, private Filmaufnahmen, Schnäppchenjagden, Hausarbeiten und vielem anderen. Das Internet hat dazu geführt, das man viele Dinge ohne Kosten und in sekundenschnelle an Millionen von Nutzern weitergeben kann - und dank Werbung auch gleich Geld verdienen kann. Da es für alles jemanden gibt, der Interesse daran haben könnte, sind dem keine Grenzen gesetzt - man muss nur etwas hochladen.
Aber nicht das Internet allein ist die Ursache, sondern primär die enormen technischen Möglichkeiten. Mittels GPS kann man ein Gerät weltweit Orten - so etwas war früher noch nicht einmal vorstellbar, somit gab es auch keinen Wirtschaftszweig dazu.

Nie war es einfacher, immaterielle Produkte an die Kunden zu bringen, erst recht, wenn sie nur mit einer Ressource zahlen müssen: ihre Aufmerksamkeit. Schließlich ist es diese, die Werbung braucht, um zu funktionieren. Letzlich sind viele der oben genannte Dinge eigentlich gar keine Ware mehr, sondern fast schon die Bezahlung - gehandelt wird hier mit den Klicks der Internetnutzer. Trotzdem werden sie monetarisiert, man kann ihnen einen Geldwert zuordnen. Es ist zu vermuten, dass kein Teil unseres Privatlebens noch nicht verkäuflich ist, denn es findet sich für jede Information über uns ein mögliches Verkaufargument für ein Produkt, und jeder unserer Wünsche, sei er noch so privat und intim, kann von einem Dienstleister gestillt werden, zumindest augenscheinlich.

Wenn Unternehmen miteinander konkurrieren - gerade das ist ja das Wesen der freien Marktwirtschaft - schlägt sich jenes am Besten, dass eine Nachfrage vor allen anderen erkennt, oder aber sein Angebot am dominantesten platziert. Moderne Technologie, also die Vernetzung und die Leistungsfähigkeit der IT, geben ihnen die Möglichkeit, mit ausreichend Daten über eine Person gerade diese beiden Dinge zu gewährleisten. Über die Aktionen einer Person im Netz wird ein Nutzerprofil erstellt. Andere Internetnutzer verdienen sich etwas dazu, indem sie Medien und Informationen generieren - Blogeinträge, eine Rezension zur Pizzeria um die Ecke, ein Videopodcast - und dort Werbung schalten lassen, die dann auf unseren gescannten Nutzer angepasst wird.

Damit kann alles, was wir von uns geben, als Produktionsmittel für Werbefläche und somit als Einnahmequelle dienen - der Internetnutzer wird selbst zum Kapitalisten, um es mit Marx zu sagen. Andererseits ist jede Information über uns ebenfalls ein Mittel, um an uns Geld zu verdienen, und ist damit genauso Produktionsmittel. Alles in uns, jedes Persönlichkeitsmerkmal, jeder Gedanke, jeder Wunsch ist damit letztlich Geld wert, und alles was wir von uns geben, jeder Teil unseres Leben (eine Geschichte, wie das letzte Date verlaufen ist; ein Foto des Gegenübers; eine Rezension des Cafés, in dem man war; etc.) , ist für irgendeinen Nutzer unterhaltsam und ist damit auch Geld wert - selbst dieser Beitrag, würde man hier Werbung schalten.

Nun ist das natürlich nicht von Anfang an zu verurteilen, dies wäre populistisch. Die Frage ist daher erstmal, welche Auswirkung diese umfassende Kommerzialisierung unserer Lebens und unser Persönlichkeit hat.
 
Zuallererst ist anzumerken, dass sie grundsätzlich freiwillig ist. Niemand ist dazu gezwungen, so viel von sich preiszugeben, und in diesem neu entstandenen Markt teilzunehmen. Dennoch hat er eine Struktur, die ein Entfliehen kaum möglich macht - den Teilnehmern ist kaum bewusst, dass sie Teile ihres Lebens sozusagen verkaufen, viel eher steht der soziale Austausch und Kontakt im Vordergrund, das Feedback, dass durch die Aufmerksamkeit, die man erhält, entsteht - der finanzielle Teil ist dabei nur ein angenehmer Nebeneffekt. Wer nicht am neuen Markt teilnimmt, ist schnell außerhalb des Fokus.

Insofern beschleunigt sich die Kommerzialisierung in dieser Form selbst - je mehr Menschen teilnehmen, umso größer ist der Druck, teilzunehmen. Letztendlich ist aber auch ein weiterer, gewichtiger Aspekt zu berücksichtigen: Wenn allem ein finanzieller Wert zugeordnet werden kann, besteht das große Potential der Quantifizierung. Viele Aspekte des Lebens hätten nicht mehr keinen Wert pro se oder keine Bezifferbarkeit ("...für alles andere gibt es Mastercard"), sondern wären über ihren Marktwert betrachtbar - um das Beispiel von vorhin zu nennen: das Date im Café wäre keine interessante Erfahrung mehr, sondern würde als Erzählung im Videopodcast zu 2700 Klicks führen, was je nach Anzahl der Banner vielleicht ein paar Euro wären. Ebenso wäre unsere Persönlichkeit mit einem bestimmten Wert verknüpfbar - Großzügigkeit wäre sicherlich hoch im Kurs, macht sie uns doch für Unternehmen schmackhaft.

Natürlich muss das noch nicht auf uns selbst Auswirkungen haben, diese Bezifferungen wären ja in erster Linie erstmal statistischer Natur. Trotzdem bieten sie ein enormes Potential zu einer grundlegenden Änderung der Denkhaltung in der Gesellschaft. Die Blogszene ist dazu ein gutes Beispiel. Das Wort "Blog" kommt ja ursprünglich von "Weblog", also ein öffentliches Internettagebuch. Nicht nur, dass dieses Format sehr flexibel ist, wie man hier sieht, die Ersteller finanzieren sich teilweise auch über ihre Blogs. Wer am wenig rentablen Format des Tagebuchs festhielt, musste von einem möglichst spannenden Leben berichten - oder irgendwann nur noch einer Fiktion davon. Die Haltung könnte sich verbreiten, dass nur das wertvoll ist, was auch in Geld ausgedrückt werden kann, und zwar in möglichst hohen Zahlen. Wenn man von einer Welt umgeben ist, die alles über seinen Preis, seine wirtschaftliche Bedeutung ausdrückt, selbst unsere Erlebnisse, Erfahrung und Persönlichkeit - wie sollte man sich dann noch dieser Denkhaltung entziehen können?

Die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche ist solange ungefährlich, belächelns- und ignorierenswert, wie sie noch nicht von größerer wirtschaftlicher Bedeutung für Privatpersonen ist - sollte sich dies ändern, hätten wir es wirklich mit einem Werteverfall zu tun, den selbst Werten könnte man wohl einen Wert zuordnen (erfolgreich geschieht dies bereits beim Greenwashing von Marken - wörtlich genommen hat dies z.B. McDonalds)


Heidegger warnte davor, dass die Technik uns von unserem Dasein entfremden würde, doch er lag falsch: die Technik ist nur ein Mittel dazu, nur das Schwert, die führende Hand ist die Kommerzialisierung. Nicht die Technik kritisiere ich, sondern der Drang dahinter, alles als wirtschaftliche Ressource zu sehen. Dass es auch anders geht, erfolgreich und zum Besten für alle, zeigen viele OpenSource-Projekte und viele andere Initiativen, die ohne Werbung und wirtschaftliche Interessen agieren - Kommerzialisierung ist kein Muss, sie geht nicht mit Technik und Fortschritt einher - sie ist eine bewusste Entscheidung, und wir sollten darauf achten, wann wir sie treffen.

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