Martin Lotter
Monatsthema 12/14
Monatsthema 12/14
"Daniela
Ross" / www.jugendfotos.de,
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Wenn man sich
mit der Frage beschäftigt, ob Europa und insbesondere Deutschland
mehr Flüchtlinge aufnehmen soll, wird gerne die Metapher „Das
Boot ist voll“ verwendet. Noch ein Zuwanderer mehr - und das
Schiff sinkt! Leider
verwendet die NPD dies als ihren Wahlkampfslogan. Nutzt man selbst
diesen Begriff, dann wird man mittlerweile schnell in die rechte Ecke
gestellt. Man kann aber auch neutral die Frage stellen: Ist das Boot
voll? Oder wäre noch Platz für weitere Asylbewerber und wenn ja,
wie viele haben noch Platz?
Diese Frage
lässt sich nicht pauschal mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten.
Es kommt darauf an, wen man fragt. In unserer Gesellschaft gibt es
sowohl nachvollziehbare Gegner von weiterer Zuwanderung also
Vertreter von „Das Boot ist voll“ als auch jene, die meinen,
Zuwanderung oder die Aufnahme von weiteren Asylanten ist vertretbar.
Vergleichen wir
die Position eines schlecht ausgebildeten Arbeiters mit Familie und
einem promovierten Akademiker-Ehepaar ohne Kinder. Die teils gut
ausgebildeten und ehrgeizigen Zuwanderer könnten dem Arbeiter den
Job streitig machen. Er ist Alleinverdiener und würde mit seiner
Familie ins Hartz IV abrutschen, wenn er seinen Job an einen
Asylanten verliert. Also ist es nur nachvollziehbar, dass
Geringqualifizierte gegen Zuwanderung sind. Asylanten nehmen
Hochqualifizierten keine Jobs weg.
Wo entstehen
Asylantenheime, wo wohnen die Zuwanderer? Davon hängt ab, ob die
jeweilige Bevölkerung eher der Meinung, dass das Boot ist voll ist –
oder eben nicht. In Nobelvierteln wie Starnberg oder Bad Homburg gibt
es keine Asylantenheime und deshalb lassen sich dort auch keine
Zuwanderer nieder. Die Immobilen sind nicht geeignet. Die dortige
Schickeria ist womöglich der Meinung, Zuwanderung sei kein Problem.
Sie wird womöglich nicht mit deren Folgen konfrontiert. Wer wenig
verdient, lebt in Stadtteilen, wo sich Zuwanderer bevorzugt
niederlassen. Also in Stadtvierteln mit dichter Bebauung und sowieso
schon hohem Ausländeranteil. Deren Bewohner sind möglicherweise der
Meinung, es gäbe genug Ausländer in ihren Vierteln. Vergleichen wir
die Haltung von Mietern und Vermietern. In vielen Regionen steigen
die Mieten unaufhörlich. Für Vermieter ist Zuwanderung eine
Gelddruckmaschine. Noch mehr Einwohner bedeutet weiter steigende
Mieten. Mieter hingegen fürchten Zuwanderung. Im letzten Jahr sind
450.000 Menschen nach Deutschland zugewandert. Wohnen jeweils drei in
einer Wohnung bedeutet dies, dass wir alleine durch Zuwanderung rund
120.000 neue Wohnungen benötigen. Wie denken wohl die Mieter im
teuren München oder Frankfurt über Zuwanderung?
Natürlich gibt
es auch Kommunen, welche Zuwanderung erst einmal als Chance sehen.
Regionen mit hoher Abwanderung hoffen auf neue Bewohner. Der
Bürgermeister von Goslar wirbt um Zuwanderer. Womöglich ist seine
Stadt nicht so pleite wie Essen oder Duisburg. Die dortigen Kommunen
haben nicht nur eine hohe Arbeitslosigkeit. Sie sind auch pleite.
Jeder neue Zuwanderer hat erst mal keinen Job. Also ist er ein
Arbeitsloser mehr. Die Stadt – welche ehedem schon pleite ist -
muss nun auch noch Asylanten finanzieren. Ist aus deren Sicht das
Boot nicht voll?
Aus finanzieller
Sicht stellt sich natürlich die Frage, ob wir mehr Asylanten
aufnehmen sollen. Sehen wir uns die Sicht der zuständigen Politiker
an. Das gibt es Vertreter wie Finanzminister Schäuble oder seine
Kollegen, welche keine neuen Schulden machen wollen. Die schwarze
Null und Schuldenabbau ist ihr Ziel. Leichter tun sich oppositionelle
Gutmenschen und Sozialpolitiker ohne Verantwortung für Finanzen. Sie
können an ihr eigenes oder das soziale Gewissen anderer appellieren
und die Aufnahme von mehr Asylanten fordern. Asylanten kosten Geld.
Das ist nun mal Fakt. Und die Finanzminister müssen es beschaffen
und werden gleichzeitig kritisiert, wenn neue Schulden gemacht
werden. Wer ist nun der Meinung dass das Boot voll ist und wer nicht?
Politiker
fordern zu Recht, dass die Last des Zustromes von Asylanten in Europa
gerecht verteilt werden sollte. Soll die Verteilung nach
Wirtschaftskraft oder Bevölkerungszahl erfolgen? Europa ist sich
darüber nicht einig und ebenso wenig darüber, ob das Boot nun voll
ist oder nicht. Es gibt Länder, denen es wirtschaftlich
verhältnismäßig gut geht. Deutschland, aber auch Norwegen oder die
Niederlande. Die Arbeitslosigkeit dort ist relativ gering und die
Finanzen sind in Ordnung. Ist womöglich aus Sicht von Griechenland
und Italien mit extrem hoher Staatsverschuldung und
Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent das Boot nicht voll? Welchen
Job sollen die Asylanten denn bekommen, wenn die eigenen Kinder
arbeitslos sind?
Hier kommen wir
zu den grundsätzlichen Sichtweisen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Aus dem Blickwinkel vieler Arbeitgeber ist das Boot nicht voll. In
einer Marktwirtschaft gilt auch am Arbeitsmarkt grundsätzlich das
Prinzip von Angebot und Nachfrage. Zuwanderung bedeutet für
Arbeitgeber, dass - früher oder später - die Zahl der ausgebildeten
Bewerber um offene Stellen zunimmt. Zwangsläufig steigen die Löhne
weniger schnell. Für Arbeitnehmer im Allgemeinen ist dies ein
Nachteil. Kein Wunder also, dass die Arbeitgeberlobby an sich
Zuwanderung befürwortet.
Umfragen zeigen,
dass in der hiesigen Bevölkerung die Frage, nach einer weiteren
Aufnahme von Asylbewerbern unterschiedlich gesehen wird. Es gibt
sowohl eine große Zahl von Bürgern welche der Meinung sind -
weniger diplomatisch formuliert – das Boot ist voll. Aber es gibt
auch viele, welche der Aufnahme weiterer Asylanten offen gegenüber
stehen. Letztere müssen aber früher oder später eine Frage
beantworten an der kommt Deutschland und Europa nicht vorbei. Der
Zustrom von Asylbewerben ebbt nicht ab. Wann ist das Boot voll –
oder diplomatisch formuliert: Wie viel Zuwanderung verträgt eine
Gesellschaft?
Dies wäre eine
spannende Frage für einen weiteren Artikel.
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