Daniel Vedder
Als ich 18 Jahre alt war,
hatte ich schon in vier verschiedenen Ländern gelebt. 13 Jahre
verbrachte ich in Afrika. Ich kenne Menschen aus über 30 Nationen
und habe Freunde auf fast jedem bewohnten Kontinent. Kulturbedingte
Auseinandersetzungen sind mir nicht fremd.
Man findet sie überall.
Viele Leute finden die deutsche Direktheit unausstehlich. Ein
Deutscher wird dir genau das sagen, was er denkt – ohne
Beschönigungen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Hierzulande
gilt das als Tugend. Anderswo drückt man Kritik lieber vorsichtig,
indirekt aus, um den Gegenüber nicht zu verletzen.
Briten und Amerikaner
verstehen sich oft nicht gut. Befremdlich, denkt ein
Kontinentaleuropäer, schließlich sprechen beide doch (scheinbar)
dieselbe Sprache. Doch für Briten sind die Amerikaner ein
dekadentes, hochnäsiges Volk, die einen mit ihrem
„Wir-sind-die-besten-Weltverbesserungswahn“ eindeutig nerven.
Amerikaner hingegen sehen Briten als altmodisch, mit einem komischen
Akzent und einem völlig unverständlichen Humor.
Ist das verallgemeinernd?
Auf jeden Fall. Aber erstaunlich oft ist es genauso, wie ich es oben
beschrieben habe. Denn eine Kultur erschöpft sich nicht in
Traditionen, in Essen und Kleidung. Das ist nur die Spitze des
Eisbergs. Eine Kultur ist viel mehr als diese Äußerlichkeiten, es
ist eine Denkweise. Und wer sich aus den vertrauten Gewässern der
eigenen Kultur hinauswagt, wird schnell merken, das Menschen anderswo
anders ticken als er (oder sie) selbst. Wer das tut, etwa in einem
Auslandsjahr während dem Studium, oder im Rahmen eines FSJ im
Ausland, sieht sich mit zwei Alternativen konfrontiert: Entweder er
beharrt auf seiner eigenen Kultur und misst alles, was ihm begegnet,
an ihren Maßstäben. Tut er dies, so wird er überall Mängel
finden, wird sich regelmäßig die Hände über dem Kopf
zusammenschlagen und ausrufen: „Wie kann man das nur so machen?!“
Oder er kann sich auf das Neue einlassen und sich um eine möglichst
objektive Herangehensweise bemühen. Dann wird er immer noch ein paar
Mängel finden, denn keine Kultur ist perfekt. Was aber viel
wichtiger ist, ist dass er anfangen wird, Mängel nicht nur bei
anderen zu sehen, sondern auch in seiner eigenen Ursprungskultur. Er
wird merken, dass nur weil er von Haus aus an eine bestimmte
Vorgehensweise gewöhnt ist, diese nicht unbedingt die beste ist.
Vielleicht machen es andere Kulturen besser. Aber erst, wenn er sich
die Zeit genommen hat, diese Kulturen wirklich zu verstehen, wird er
in der Lage sein, sich das Gute aus ihnen herauszusuchen und es in
seine Persönlichkeit einzugliedern.
Ein Beispiel: wie oben
erwähnt, gilt es in Deutschland als Tugend, zwischenmenschliche
Probleme direkt mit der betroffenen Person anzusprechen. Das hat
seine guten Seiten. Es ist auf jeden Fall besser als hinter ihrem
Rücken über sie zu lästern und das Problem so nur noch zu
verschlimmern. Allerdings geschieht dieses Ansprechen oft alles
andere als liebevoll und kann tiefe Verletzungen hinterlassen. In
manchen Teilen von Afrika gibt es jedoch eine etwas andere
Herangehensweise. Wenn man hier ein Problem mit jemanden hat, spricht
man ihn nicht direkt darauf an. Stattdessen sucht man sich einen
Vermittler, eine dritte Person, die selber nicht direkt involviert
ist, die aber von beiden Seiten respektiert ist. Dieser Vermittler
kann dann als Neutraler versuchen, den Streit zu schlichten. Da es
nicht zu einer direkten Konfrontation kommt, werden Gefühlsausbrüche,
mit den damit verbundenen unüberlegten Wortwechseln, weitgehend
vermieden und somit entstehende Verletzungen minimiert. In manchen
Situationen kann diese Herangehensweise durchaus bessere Resultate
erzielen, als die „deutsche“ Lösung.
Oft lernt man auch, dass
eine bestimmte Angewohnheiten sowohl gute als auch schlechte Seiten
hat. So sind Deutsche sehr zeitbewusst. Wenn die Bahn zwei Minuten
Verspätung hat, wird gegen die „unfähige Leitung“ gewettert.
Besprechungen starten fast auf die Sekunde genau. In vielen Teilen
der Welt ist man da sehr viel gelassener. Wenn der Bus anderthalb
Stunden später fährt als angekündigt, ist das halt so.
Besprechungen fangen dann an, wenn alle da sind – wann auch immer
das sein mag. Mit einer solchen Einstellung hätte sich Deutschland
wahrscheinlich nie zu dem hocheffizienten Industriestaat entwickelt,
der es heute ist. Insofern ist dieses Zeitbewusstsein ein integraler
Teil der hochgelobten deutschen Effizienz. Andererseits könnten sich
Deutsche viel Stress sparen, wenn sie Sachen etwas entspannter
angehen würden. Trotz minutiöser Planung können Sachen
schiefgehen. Dann würden wir gut daran tun, nicht sofort ein
Herzinfarkt zu kriegen, sondern die Dinge so zu nehmen, wie sie halt
sind und versuchen, so gut wie möglich damit klarzukommen.
Interessant ist auch,
dass in Kulturen, die etwas flexibler mit ihrem Zeitmanagement sind,
man sich viel mehr Zeit nimmt, um Beziehungen zu pflegen. Wenn man
einen Bekannten auf der Straße trifft, bleibt man stehen und redet
mit ihm. Man kann seine Freunde jederzeit besuchen gehen, ob
ausgemacht oder nicht. Manchmal muss dann halt eine Besprechung
warten, weil ich auf dem Weg dorthin einen Cousin getroffen habe –
das ist die Kehrseite dieser Medaille. Aber ein wenig mehr
Freundlichkeit und Flexibilität würde der kalten deutschen Kultur
auf jeden Fall nicht schaden.
Solche Sachen bemerkt man
erst, wenn man eine Zeit lang in einer anderen Kultur gelebt hat und
sich wirklich auf diese eingelassen hat. Letzteres ist nicht leicht,
nicht umsonst spricht man von „Kulturschock“. Doch es ist den
Aufwand auf jeden Fall wert, denn wer es wagt, der wird mit einem
stark erweiterten Weltbild belohnt. Man ist nicht mehr in seiner
angeborenen, engstirnigen Denkweise gefangen, sondern weiß, dass es
zu verschiedenen Problemen verschieden Lösungsmöglichkeiten gibt
und kann sich die beste aussuchen. Und selbst wenn man nicht damit
einverstanden ist, wie eine Person aus einer anderen Kultur etwas
macht, so versteht man dennoch, warum sie so handelt. Und das ist
wahre Völkerverständigung.
Mit anderen Worten, lieber Daniel: Hinter dem Berg wohnen auch Menschen - das sagte schon Robert Schumann, Komponist seines Zeichens.
AntwortenLöschen@Hans
AntwortenLöschenin der Talkshow Doppelpass kostet so eine Aussage 5 € zugunsten des Phrasenschein
Auf jeden Fall ist es wichtig, sich mit anderen Kulturen zu beschäftigen. Durchaus kann es die eigene Persönlichkeit verbessern oder abrunden wenn man sich das Gute an anderen Kulturen zu Eigen macht. Ich denke andere Kulturen haben noch nicht einmal Mängel, sondern einfach andere Schwerpunkte in den Ausprägungen ihrer Gepflogenheiten.
AntwortenLöschenStark international tätige Unternehmen aber auch Hochschulen lehren Ihren Mitarbeiten oder Studierenden interkulturelle Kompetenz. Dies beinhaltet Informationen und Trainings über die Besonderheiten der jeweiligen Länder. Gerade Studenten welche via Erasmus ein Auslandssemester planen oder anderweitig international studieren wollten sollten sich auf das jeweilige Land vorbereiten.
Eine gute Vorbereitung ist das bereits erwähnte Training an der Hochschule. Daneben ein Buchtipp:
Richard D Lewis: When Cultures Collide, ISBN 978-1-904838-02-9