Martin Lotter
Beruf und Privates sind getrennt? Nicht mehr unbedingt. Die Unternehmen mischen sich immer mehr in das Leben ihrer Arbeitnehmer ein. Ist das gut oder gefährlich?
"Meinhardt Branig" / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc) http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/deed.de |
Große
Unternehmen wie Facebook oder Apple bieten ihren
Mitarbeiterinnen an, Eizellen einzufrieren um den Kinderwunsch
hinauszuschieben. Die Unternehmen übernehmen für das „Social
Freezing“ die Kosten und erklären dies als Wohltat für die
Frauen, weil sie dadurch ihre Karrierechancen verbessern. Überhaupt
tun einige Unternehmen viel für ihre Mitarbeiter.
Betriebskindergarten und betriebliche Pflegedienste, Firmenhandy zur
Privatnutzung, Fitnessstudios im Unternehmen und Gesundheitsberatung
sind nur
einige Beispiele.
Spätestens
mit der Diskussion um Social Freezing stellt sich die Frage ob dies
nur ein Angebot des Unternehmens ist oder ob die Firmen sich in das
Privatleben der Mitarbeiter einmischen und die Mitarbeiter im Grunde
nicht mehr frei über ihr Leben entscheiden können, und so unbewusst
zu freiwilligen Sklaven der Unternehmen werden.
Larry
Page, der Chef von Google sagt, sein Unternehmen muss für die
Mitarbeiter wie eine Familie sein (Welt Kompakt vom 21.10.2014). Dies
zeigt, dass Unternehmen mehr wollen als nur einen Arbeitsvertrag mit
ihren Mitarbeitern. Diese Unternehmen wollen das Privatleben ihrer
Mitarbeiter steuern, um deren wertvolle Arbeitskraft so optimal wie
möglich einzusetzen.
Für
Unternehmen gilt Folgendes: Die
Menschen sind im Alter zwischen 20 und 40 am leistungsfähigsten.
Aber genau da stört es den Betriebsablauf, wenn eine
hochqualifizierte Frau wegen Geburt, Elternzeit oder einfach nur
wegen der Krankheit eines Kindes fehlt. Firmen wollen die Arbeitszeit
von Mitarbeitern maximieren. Denn mit jeder Stunde die die
Mitarbeiter arbeiten verdient das Unternehmen Geld. Und damit ist es
das Ziel von Firmen, die Mitarbeiter mehr als die üblichen
40 Stunden zu beschäftigen. Laptop, Firmenhandy, bezahltes W-LAN zu
Hause und anderes
dienen dazu. Der Mitarbeiter soll möglichst rund um die Uhr arbeiten
können. Es behindert die Gewinnmaximierung, wenn der Mitarbeiter
sich um Kinder kümmern muss oder um die pflegebedürftigen Eltern.
Vor allen Dingen in der hochprofitablen Altersrange zwischen
20 und
40. Wenn Frauen jenseits der 40
Kinder bekommen ist der „Schaden“ oder der entgangene Nutzen für
das Unternehmen weniger relevant. Ganz abgesehen davon: Social
Freezing hat aus Unternehmenssicht den Zweck bei Frauen die Illusion
zu erhalten, Kinder später bekommen zu können. Bei Unternehmen
besteht aber die berechtigte Hoffnung, dass eine Frau mit 40 keinen
Kinderwunsch mehr hat. Sie hat sich an das kinderlose Leben gewöhnt.
Nur:
Was
ist,
wenn die Mitarbeiterin mit 28 Jahren
ein Kind will oder die Eltern selbst pflegen will. Oder am Abend und
am Wochenende nicht per Handy erreichbar sein will, weil sie
ehrenamtlich tätig ist oder einfach nur leben will?
Dann
beginnt der subtile Druck der Firma. Warum nehmen sie denn unser
großzügiges „Angebot“ nicht an und frieren Ihre Eizellen ein?
Warum wollen Sie ihre Mutter selbst pflegen, obwohl „Ihre“ Firma
doch einen professionellen Pflegedienst hat? Warum wollen sie zu
Hause
bleiben und Elternzeit nehmen, obwohl ihnen Ihr Arbeitgeber doch eine
Betriebs-Kita anbietet?
Ist
dann der Arbeitnehmer noch darin frei, sein Leben selbst zu gestalten
oder wird es von der Firma gestaltet? Walter Kohl, der Sohn von
Kanzler Helmut Kohl hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Leben
und gelebt werden“. Als Kind eines Kanzlers „wurde er gelebt“.
So
geht es heute auch Arbeitnehmern,
gerade in großen, internationalen Unternehmen. Die Grenze zwischen
Beruf und Privatem verschwindet. Es gibt nicht mehr den Arbeitgeber
und den Arbeitnehmer, mit einem klar abgegrenzten Arbeitsvertrag.
Formal vielleicht noch aber nicht in
der Realität. Die Firma bestimmt,
wie ihre Mitarbeiter leben. Wann sie Kinder bekommen, ob sie die
Kinder selbst erziehen oder die Firma. Ob sie die Eltern pflegen oder
die Firma. Und ob sie Sport treiben oder nicht. Denn auch das
Fitnessstudio inklusive Gesundheitsberatung und Gesundheitscheck ist
nichts anderes als ein Wink mit dem Zaunpfahl durch den Arbeitgeber.
Verhalte dich gesund, esse nur gesunde Lebensmittel, damit deine
Arbeitskraft erhalten bleibt!
Wer
zur falschen Zeit Kinder bekommt, wer seine Eltern pflegt, wer nicht
sportlich rank und schlank ist grenzt sich aus der „Familie Firma“
aus. Dieser subtile Druck mittels der angeblich so „tollen
Angebote“ der Firma macht Arbeitnehmer zu modernen Sklaven. Sie
können nicht mehr frei entscheiden, weil sie in einem
Abhängigkeitsverhältnis mit ihrer
Firma stehen.
Wer
will das schon? Wer will schon sein Leben gelebt bekommen und am Ende
feststellen, dass man nur für eine abstrakte Familie gearbeitet hat,
die spätestens zu Rentenbeginn weg ist oder schon vorher wenn die
Firma pleite ist?
Die
Arbeitnehmer sollten sich bewusst machen: Will ich über mein Leben
und mein Sein selbst entscheiden oder es der Firma überlassen? Will
ich gelebt werden oder leben. Will ich eine Familie oder eine
abstrakte Firma als Familienersatz?
Will
ich selbstbestimmter Arbeitnehmer sein oder moderner Sklave?
Dass Unternehmen versuchen, ihre sach- und betriebskundigen Mitarbeiterinnen im Betrieb zu halten, ist pauschal nicht zu verurteilen. Es gibt bewährte Modelle, z. B. die Betriebskindergärten der Textilfirma Rösch. Frauen verlieren wegen der Babypause, die meist bis zum Schulbeginn und oft noch länger dauert, wertvolle Rentenjahre und zudem den Anschluss an die so wichtige berufliche Weiterbildung. Überdies mag es für viele intelligente Frauen nicht erstrebenswert zu sein, jahrelang auf ein interessantes Berufsleben verzichten zu müssen.
AntwortenLöschenEntschieden abzulehnen ist freilich das zynisch-barbarische, inhumane Social freezing, vor allem im Hinblick auf das Kind. Wie übersteht das eingefrorene Ei diese Jahre? Wie entwickelt sich der Foetus in der gealterten Mutter? Welche seelischen Auswirkungen hat diese Medizintechnik für das möglicherweise traumatisierte Kind?
Fragen, die ohne Antwort bleiben. Die Konsequenz: Social freezing ist kompromisslos abzulehnen. Wer nach dem Berufsleben noch Lust auf ein Kind hat, der mag ein verwaistes Kriegsopfer adoptieren.
Das Social freezing betrachte ich auch sehr kritisch - mit einer "alte Mutter" ist kein Idealzustand, weder für Kind noch für Mutter.
AntwortenLöschenAnsonsten kann man jedoch den Versuch der Arbeitgeber, sich mehr in das Privatleben der Angestellten einzugliedern, unterschiedlich bewerten. Sicherlich ist eine Pauschalbewertung zu oberflächlich. So gibt es z.B. v.a. in der Software-Branche viele Unternehmen, die Mitarbeitern ein sehr großzügiges Freizeitangebot bieten, um in einem hart umkämpften Markt die besten Fachkräfte zu gewinnen. Google ist nur ein Beispiel - der Konzern ist seit Jahren als die Firma bekannt, bei der die Mitarbeiter am glücklichsten sind.
Natürlich kann man ihnen finstere Absichten nachsagen, es ist aber durchaus keine unvertretbare Position, dass die Leitungen der entsprechenden Firmen einfach nur ein simples Prinzip befolgen: halte deine Leute glücklich, und sie leisten bessere Arbeit. Mehr Job-Zufriedenheit führt zu weniger Stress und dadurch mehr Produktivität. So sind sowohl die Interessen der Arbeiter als auch der Firma bedient.
Bestimmt gibt es hier und da Firmen, die ihre Arbeitnehmer tatsächlich so ausnutzen wie oben beschrieben. Ich halte es jedoch für eine grobe Verallgemeinerung, dem Großteil aller Firmen solche Beweggründe zu unterstellen. So argumentierten Kommunisten vor 100 Jahren - das kannst du besser, Martin ;-)