Montag, 27. Oktober 2014

Martin Lotter
Montatsthema 10/12

Die Einteilung in den linken und rechten Block ist sicher noch möglich. Doch ist es auch richtig, dass mit der zunehmenden Breite der Parteienlandschaft und mit der Veränderung der Gesellschaft die Zuordnung von Parteien – insbesondere der neuen Parteien – zu einer Richtung schwieriger wird. 
 
Bernd Kasper  / pixelio.de

Die Gesellschaft hat sich verändert, und damit auch die Parteien.
Betrachtet man die Geschichte, so gab es traditionell zwei Lager. Das aus dem Arbeitermilieu entstandene linke Lager und das bürgerliche Lager mit konservativer und religiöser Prägung. In den bürgerlichen Block kann man grundsätzlich auch die Liberalen einordnen. Zwar waren sie in der Geschichte der Bundesrepublik einige Zeit auch Koalitionspartner der SPD. Grundsätzlich ist aber die Schnittmenge mit den bürgerlichen Parteien größer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war bis zur Wahl 1983 der Bundestag eine Drei-Parteien-Veranstaltung (von Splitterparteien in den ersten Wahlen abgesehen). Die meisten Arbeiter wählten traditionell SPD. Dies kann man sehr gut an den Wahlerfolgen der SPD in den Industrieregionen erkennen. So zum Beispiel im Ruhrgebiet. Die Union hat ihre Stammwähler eher in ländlichen Regionen. Hier ist die konservative und religiöse Einstellung der Bevölkerungsschichten ausgeprägter und damit das Wählerpotential der Union. Die Unternehmerschicht oder die Freiberufler wählten traditionell eher die Liberalen. Ihre Stärke hatten sie dort, wo es viele mittelständische Unternehmen gibt. So zum Beispiel im wirtschaftlich prosperierenden Baden-Württemberg. Die Bundes- oder Landtage waren ein Drei-Parteienparlament. Bei den Wahlen waren die Ergebnisse der „sonstigen Parteien“, also jener unter fünf Prozent, meist verschwindend gering.

1983 kamen erstmals die Grünen in den Bundestag. In der Folge waren auch immer wieder weitere kleine Parteien erfolgreich. Allerdings waren sie nur selten in den Landtagen vertreten (vereinzelt DVU, NPD, Republikaner). Die „sonstigen Parteien“ konnten mittlerweile teils hohe Stimmenzahlen auf sich vereinigen, auch wenn sie wegen der Fünf-Prozent-Hürde nicht in den Parlamenten vertreten waren. Daraus lässt sich ableiten, dass die linken und rechten Lager nicht mehr so homogen und stabil waren wie in der Vergangenheit. Dies trifft auf alle traditionellen Parteien zu. Der Trend seit den 1980ern war: Der Stammwählerkern der drei etablierten Parteien Union, SPD und Liberale wurde kleiner und es entstanden weitere Parteien. Die Ursachen sind vielfältig.

Die klassische „Arbeiterschicht“ hat sich verändert. Deutschland hat sich von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft gewandelt. Damit sind aus Arbeitern Angestellte mit einem eigenen Selbstverständnis geworden. Und welcher Angestellte lässt sich gerne als „Genosse“ anreden, was bei der SPD immer noch üblich ist. Der Mitgliederschwund der Gewerkschaften ist ebenfalls ein Anzeichen dafür, dass die Arbeiterschicht kleiner wird und damit das Wählerpotential der SPD.

Der ehemals stabile Kern des bürgerlichen Lagers zeigt ebenfalls Degenerationserscheinungen. Dies kann sicher damit begründet werden, dass sich zum einen der Einfluss der Kirchen reduziert und dass sich generell Traditionen auflösen. Ein „C“ im Parteinamen führt zwangsläufig nicht mehr zu einem Kreuz bei der Wahl durch einen Christen. Die Mitgliedschaft im Heimat- oder Trachtenverein oder im Bauernverband führt nicht mehr zwingend dazu eine konservative Partei zu wählen. Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten 30 Jahren zu einer Informationsgesellschaft entwickelt. Damit haben auch die Bürger mehr Informationen und können diese für Ihre Wahlentscheidungen nutzen. Gab es früher nur die Lokalzeitung und im besten Fall ARD und ZDF, so steht auch den Bürgern in der Provinz heute eine Vielzahl von Medien zur Verfügung. Somit wird eben nicht mehr die gleiche Wahlentscheidung getroffen, welche schon die Generationen vorher getroffen haben.
Aber dem Bürger stehen heute nicht nur mehr Informationen zur Verfügung, sondern auch die Bürger selbst sind andere geworden. Sie sind selbstbewusster, gebildeter und aufgeklärter. Die Nachkriegsgeneration hatte im Durchschnitt einen geringeren Bildungslevel als die heutige Generation. Mit geringerem Bildungslevel ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, innerhalb des eigenen Milieu zu wählen. Soll heißen, der Stahlarbeiter im Ruhrpott wählt SPD und der katholische Bauer vom Land eben CSU. So hat auch schon der Großvater gewählt, der war ja auch im gleichen Milieu. Die Kinder des ehemaligen Stahlarbeiters haben aber mittlerweile Abitur und an der Ruhr-Universität BWL studiert und der Sohn des Bauern an der TU München Physik. Von der jungen Generation wird eben auch stärker hinterfragt, wem man sein Kreuz am Wahltag gibt. Und das kann im Zweifel auch bei einer Splitterpartei sein, weil diese Parteien dem eigenen Weltbild näher sind.

Unsere Gesellschaft ist eine andere als vor 30 Jahren. Durch Migrationshintergrund oder durch eine stärkere Individualität bilden sich Haltungen und ergeben sich Prägungen, welche in das klassische Parteienschema nicht mehr passen. Dies zeigt sich besonders in großen Städten. Gut ausgebildete Menschen, welche keine Traditionen pflegen oder gesellschaftliche Wurzeln haben, fühlen sich kaum von konservativen Parteien vertreten. Mit der klassischen linken Arbeiterpartei wollen sie aber genauso wenig in Verbindung gebracht werden. Sie sind selbständig und selbstbewusst. Daher ist ihnen der Überstaat des linken Spektrums zuwider. Rechts und links scheidet aus. Bleiben Grün, Liberal oder eine sonstige Partei. Gerade in großen Städten ist das Angebot an Splitterparteien erheblich. Den größten Erfolg erzielen Splitterparteien in den Großstädten, weil dort die Individualität der Bürger am stärksten ausgeprägt ist.

Bei der letzten Bundestagswahl konnte der Wähler aus über 20 Parteien auswählen. Aber warum gibt es so viele Parteien? Und warum haben Parteien wie die AfD oder die Piraten in kürzester Zeit solche Wahlerfolge erreicht? Ein wesentlicher Grund ist, dass es heute recht einfach ist, eine Partei zu etablieren. Durch die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten via Internet in sozialen Netzwerken lassen sich gleichgesinnte Mitbürger leichter für den Aufbau einer Partei gewinnen. Vor 30 Jahren, als das Fax die größte technische Errungenschaft war, war es deutlich schwieriger Mitglieder zu gewinnen. Die lediglich zwei öffentlich rechtlichen Fernsehsender trugen ebenfalls nicht zur Meinungsvielfalt bei. Dies ist heute anders. Und damit lässt sich auch der rasante Aufstieg von Piraten, ehemals Schill-Partei oder AfD zumindest mitbegründen. Ein Parteiprogramm, das den Nerv der ausreichend großen Zielgruppe trifft und von anderen Parteien nicht bedient wird, ist natürlich auf Dauer unabdingbar.
Die Folge dieser Parteienvielfalt ist, dass diese Parteien weniger Volks- sondern Nischenparteien mit eingeschränktem Themenspektrum sind. Sie bieten oft ein eindimensionales Wahl- oder Parteiprogramm. Ob die Partei Bibeltreuer Christen, die Grauen als Rentnerpartei oder die Rosa Liste – sie all outen sich allein durch ihren Namen als Nischenanbieter. 
 
Wo sind nun diese Kleinstparteien zuzuordnen? Rechts oder links? Kann man aus einem für diese Partei prägenden Thema ableiten, ob die Partei im politischen Spektrum links oder rechts ist? In Ermangelung einer breiten Abdeckung aller wesentlichen Politikfelder ist es nur bedingt möglich, kleine Parteien dem rechten oder linken Block zuzuordnen. 
 
Somit kann man feststellen, dass wir eine Tendenz dahingehend haben, dass die großen politischen Blöcke einer Erosion unterliegen und sich zunehmend Randparteien bilden, welche nicht zwingend einem Block zugeordnet werden können.






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