Mittwoch, 10. September 2014



Niklas Götz

Monatsthema 9/14

Petra Bork  / pixelio.de

Über kaum ein Thema kann man in Deutschland so intensiv, unerbittlich, emotional und leidenschaftlich streiten wie über Bildung. Jeder bringt genug mit, um dabei zu sein: Jeder war einmal Schüler und viele haben als Eltern sogar noch eine besondere Legitimation. Ist es nicht Zeit für eine neue Diskussionskultur?


Es ist immer wieder dasselbe. Ein halbwegs bekannter Populärwissenschaftler oder ein fachfremder Prominenter mit Kind lassen im Streben nach Aufmerksamkeit ein „Sachbuch“ verfassen, in dem ihre individuelle Meinung zur Bildungspolitik auf radikale und provozierende Weise dargestellt wird. Innerhalb kürzester Zeit sind die Feuilletons überfüllt mit Analysen, Diskussionen und Kritiken. Gleichzeitig werden die Thesen in allen öffentlich-rechtlichen Talkshows diskutiert, bei denen wieder neue Populärwissenschaftler, Politiker und Prominente hervorgezaubert werden. Dies geht so lange, bis die Thesen gänzlich durchdebattiert sind. Die wissenschaftliche Herangehensweise spielt dabei kaum eine Rolle.

Ein offensichtliches Beispiel hierfür ist Richard David Prechts Buch „Anna, die Schule und der liebe Gott“. Als Publizist ohne jede pädagogische oder sonst hilfreiche Bildung mischt Precht sich mit 352 Seiten auf provokativ unüberdachte Weise in eine Diskussion und eine Thematik ein, in der er nichts Sinnvolles zu leisten vermag. Forderungen, wie die achte Klasse aufgrund der Pubertät zu einem reinen „Abenteuerjahr“ zu machen, weil die Schüler in dieser Zeit nicht lernfähig wären, erscheinen eher als eine Satire denn als eine ernsthafte Forderung – wenn es denn so wäre.

Besonders deutlich wird die Überflüssigkeit solcher Diskussionsbeiträge an diesem Beispiel aus einem weiteren Grund. Noch während die öffentlich-rechtlichen Sender, anstatt ihrem kulturellen Auftrag nachzugehen, dieses Thema immer wieder erneuerten, wurde ein Buch über eine breit angelegte Meta-Analyse hunderter Meta-Analysen zu Bildungssystemen veröffentlicht – bekannt als Hattie-Studie.

John Hattie, Professor für Erziehungswissenschaften und Direktor des Melbourne Education Research Institute an der University of Melbourne, erreichte dabei den bisher größten Fortschritt zur Klärung der Frage, was gute Bildung wirklich ausmacht. Zufälligerweise eben nicht offene Klassen und andere wahnwitzige Konzepte, die Precht zeitgleich forderte, sondern das offensichtlichste und einfachste, aber auch am schwersten umsetzbare – eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung.

Dennoch bleibt die Aufmerksamkeit wohl länger bei den weniger wissenschaftlichen Herangehensweisen. Die Medien sollten Möchtegern-Bildungswissenschaftlern skeptischer gegenüberstehen, denn ihre abstrusen Forderungen verstärken die Tendenz zu bildungspolitischen Experimenten und lassen Fakten und Fiktionen zur Bildung bedrohlich verschwimmen.

Warum ist in Deutschland die Bildungsdebatte von solch großer Bedeutung und wird so vehement geführt? Immerhin haben wir eines der besten und effektivsten Bildungssysteme, welches der Motor unserer Wirtschaft ist.

Um das zu beantworten, müssen wir wissen, wer die Hauptakteure oder das Publikum der öffentlichen Auseinandersetzungen ist. Dies ist eigentlich offensichtlich – es ist die gut gebildete Elterngeneration. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie von der beginnenden Durchlässigkeit des Bildungssystems profitierte und dadurch eine höhere soziale Schicht erlangte als ihre Eltern. Damit einher ging ein hoher Lebensstandard, der allerdings sehr fragil ist. Da diese Generation aus einfachen Haushalten stammt, hat sie kein Vermögen oder Erbe. Ihr gesamtes Auskommen basiert auf ihrer Anstellung, diese wiederum ist allein der Bildung zu verdanken.

Dies wird ergänzt durch das Bestreben dieser Generation, dass ihre Kinder diesen erreichten Standard nicht unterschreiten. Man will die eigenen Erfolge weitergeben – dazu ist Bildung der Schlüssel. Das Bewusstsein der Schlüsselrolle von Bildung und die Wünsche für die eigenen Nachkommen haben das geschaffen, was wir „Helikopter-Eltern“ nennen – ihr wichtigstes Anliegen scheint es zu sein, den Kindern die optimalen Chancen zu ermöglichen.

Die aus dem Bildungsbewusstsein entspringende Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem durch die Eltern schafft einen gesellschaftlichen Druck auf die Entscheidungsträger sowie ein Berichterstattungspotential in den Medien. Da diese zunehmend auf Sensationsberichte ausgerichtet sind, werden gerade solche Thesen bevorzugt, die unwissenschaftlich sind und die Diskussion weiter verschärfen, ohne einen echten Beitrag zu leisten.

Daraus folgt, dass wir eine Diskussionskultur haben, die jeglichem empirischen Bezug fern ist und aufgrund der Öffentlichkeitswirksamkeit auf provokative Thesen fixiert ist – das sind meist solche, die eine Veränderung fordern. Veränderungen wiederum sind genau das, was auch im Wahlkampf von entscheidender Bedeutung ist – aus diesem Grund steht die Bildungspolitik immer ganz oben bei den Wahlversprechen.

Hieraus ergeben sich die endlosen G8/G9, 3/4/5/6-Jahre-gemeinsames-Lernen und ähnliche Debatten. Ihre pädagogische Irrelevanz tritt hinter der Popularität solcher Forderungen zurück, da sie politisch umsetzbar und leicht zu verstehen sind.  Demgegenüber sind die konkreten wissenschaftlichen Empfehlungen wenig spektakulär und polarisierend, dafür umso schwerer durchzusetzen, da nicht einfache Lehrplanänderungen ausreichen, sondern die konkreten Unterrichtssituationen verbessert werden müssen.

Die provokativen Forderungen greifen nicht nur an den falschen Stellen an, sie verschlingen auch deutlich mehr gesellschaftliche Ressourcen, als für eine wahrnehmbare Verbesserung der Bildungssituation nötig wäre. Einerseits verbrauchen die Auseinandersetzungen um G8 und seine Alternativen einen enormen Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit. Andererseits entstehen durch immer wieder neue Bildungsreformen große Arbeitsmengen in der Verwaltung, aber auch große Verluste bei der Umstellung des Lehrbetriebs. Ein Lehrer, der sich immer wieder an einen neuen Lehrplan anpassen muss, kann weniger darin investieren, seine Lehrmethoden zu verbessern.

Die Standardpläne für Reformen sind viel zu große Eingriffe in die Struktur an falschen Stellen. Ihr ständiges Wiederholen heizt die Debatte auf, ebenso ohne Erfolg, da dadurch die Sachlichkeit verloren gibt. Kurz gesagt: Es wird zu viel und zu viel Falsches über Bildung geredet, um die Bildung zu verbessern.

Wie sollte also die Bildungsdebatte der Zukunft gestaltet sein?

Wichtig ist, dass der Einfluss von Möchtegern-Experten minimiert wird. Die Diskussion muss sich mehr an konkreten Fakten orientieren. Dies lässt sich nicht direkt steuern. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es aber, wenn es ein Bildungsreformmoratorium wie in Hamburg gibt. Die Länder sollen sich einigen, die nächsten Jahre keine größeren Veränderungen durchzuführen, bis es ein verlässliches, wirklich effizientes Reformkonzept gibt, das nicht auf möglichst große Veränderungen, sondern möglichst effiziente Konzepte abzielt. Bildung darf nicht mehr von Legislaturperioden oder Trendströmungen abhängen,  denn ansonsten gefährden wir unsere Zukunft.

1 Kommentar:

  1. eine sehr gute Analyse der nur noch dies hinzuzufügen wäre:
    bedingt durch die Kulturhoheit diskutieren wir mindestens bei jeder Wahl das Thema Bildung. Das bedeutet also in durchschnittlich 4 Jahren 16 mal plus Bundestagswahl. Damit ist das "Risiko" verbunden, dass durch einen Regierungswechsel oder Wahlversprechen der regierenden Partei die Bildungspolitik im jeweiligen Bundesland verändert wird. Somit haben wir ein recht hohes Risiko von Veränderungen. Daher kann die Forderung vernünftiger Menschen nur lauten: Die Zuständigkeit für Schulbildung muss zentralisiert werden. Nur so schafft man Kosteneffizienz und Kontinuität und die Chance, dass sich Lehrer auf den Bildungsauftrag konzentrieren können und nicht auf die permanente Veränderung im Lehrplan oder um Schulreformen.

    AntwortenLöschen

CATOteam 2013
Ceterum censeo...