Niklas Götz
Monatsthema 9/14
Petra Bork / pixelio.de |
Über kaum ein Thema kann man in Deutschland so intensiv, unerbittlich,
emotional und leidenschaftlich streiten wie über Bildung. Jeder bringt genug
mit, um dabei zu sein: Jeder war einmal Schüler und viele haben als Eltern
sogar noch eine besondere Legitimation. Ist es nicht Zeit für eine neue
Diskussionskultur?
Es ist immer wieder dasselbe. Ein halbwegs bekannter
Populärwissenschaftler oder ein fachfremder Prominenter mit Kind lassen im
Streben nach Aufmerksamkeit ein „Sachbuch“ verfassen, in dem ihre individuelle
Meinung zur Bildungspolitik auf radikale und provozierende Weise dargestellt
wird. Innerhalb kürzester Zeit sind die Feuilletons überfüllt mit Analysen,
Diskussionen und Kritiken. Gleichzeitig werden die Thesen in allen
öffentlich-rechtlichen Talkshows diskutiert, bei denen wieder neue
Populärwissenschaftler, Politiker und Prominente hervorgezaubert werden. Dies
geht so lange, bis die Thesen gänzlich durchdebattiert sind. Die
wissenschaftliche Herangehensweise spielt dabei kaum eine Rolle.
Ein offensichtliches Beispiel hierfür ist Richard David
Prechts Buch „Anna, die Schule und der liebe Gott“. Als Publizist ohne jede
pädagogische oder sonst hilfreiche Bildung mischt Precht sich mit 352 Seiten
auf provokativ unüberdachte Weise in eine Diskussion und eine Thematik ein, in
der er nichts Sinnvolles zu leisten vermag. Forderungen, wie die achte Klasse
aufgrund der Pubertät zu einem reinen „Abenteuerjahr“ zu machen, weil die
Schüler in dieser Zeit nicht lernfähig wären, erscheinen eher als eine Satire
denn als eine ernsthafte Forderung – wenn es denn so wäre.
Besonders deutlich wird die Überflüssigkeit solcher Diskussionsbeiträge
an diesem Beispiel aus einem weiteren Grund. Noch während die
öffentlich-rechtlichen Sender, anstatt ihrem kulturellen Auftrag nachzugehen,
dieses Thema immer wieder erneuerten, wurde ein Buch über eine breit angelegte
Meta-Analyse hunderter Meta-Analysen zu Bildungssystemen veröffentlicht –
bekannt als Hattie-Studie.
John Hattie, Professor für Erziehungswissenschaften und
Direktor des Melbourne Education Research Institute an der University of
Melbourne, erreichte dabei den bisher größten Fortschritt zur Klärung der
Frage, was gute Bildung wirklich ausmacht. Zufälligerweise eben nicht offene
Klassen und andere wahnwitzige Konzepte, die Precht zeitgleich forderte,
sondern das offensichtlichste und einfachste, aber auch am schwersten umsetzbare
– eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung.
Dennoch bleibt die Aufmerksamkeit wohl länger bei den
weniger wissenschaftlichen Herangehensweisen. Die Medien sollten
Möchtegern-Bildungswissenschaftlern skeptischer gegenüberstehen, denn ihre
abstrusen Forderungen verstärken die Tendenz zu bildungspolitischen
Experimenten und lassen Fakten und Fiktionen zur Bildung bedrohlich
verschwimmen.
Warum ist in Deutschland die Bildungsdebatte von solch
großer Bedeutung und wird so vehement geführt? Immerhin haben wir eines der
besten und effektivsten Bildungssysteme, welches der Motor unserer Wirtschaft
ist.
Um das zu beantworten, müssen wir wissen, wer die
Hauptakteure oder das Publikum der öffentlichen Auseinandersetzungen ist. Dies
ist eigentlich offensichtlich – es ist die gut gebildete Elterngeneration. Sie
zeichnet sich dadurch aus, dass sie von der beginnenden Durchlässigkeit des
Bildungssystems profitierte und dadurch eine höhere soziale Schicht erlangte
als ihre Eltern. Damit einher ging ein hoher Lebensstandard, der allerdings
sehr fragil ist. Da diese Generation aus einfachen Haushalten stammt, hat sie
kein Vermögen oder Erbe. Ihr gesamtes Auskommen basiert auf ihrer Anstellung,
diese wiederum ist allein der Bildung zu verdanken.
Dies wird ergänzt durch das Bestreben dieser Generation,
dass ihre Kinder diesen erreichten Standard nicht unterschreiten. Man will die
eigenen Erfolge weitergeben – dazu ist Bildung der Schlüssel. Das Bewusstsein
der Schlüsselrolle von Bildung und die Wünsche für die eigenen Nachkommen haben
das geschaffen, was wir „Helikopter-Eltern“ nennen – ihr wichtigstes Anliegen
scheint es zu sein, den Kindern die optimalen Chancen zu ermöglichen.
Die aus dem Bildungsbewusstsein entspringende
Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem durch die Eltern schafft einen
gesellschaftlichen Druck auf die Entscheidungsträger sowie ein
Berichterstattungspotential in den Medien. Da diese zunehmend auf
Sensationsberichte ausgerichtet sind, werden gerade solche Thesen bevorzugt,
die unwissenschaftlich sind und die Diskussion weiter verschärfen, ohne einen
echten Beitrag zu leisten.
Daraus folgt, dass wir eine Diskussionskultur haben, die
jeglichem empirischen Bezug fern ist und aufgrund der
Öffentlichkeitswirksamkeit auf provokative Thesen fixiert ist – das sind meist
solche, die eine Veränderung fordern. Veränderungen wiederum sind genau das,
was auch im Wahlkampf von entscheidender Bedeutung ist – aus diesem Grund steht
die Bildungspolitik immer ganz oben bei den Wahlversprechen.
Hieraus ergeben sich die endlosen G8/G9,
3/4/5/6-Jahre-gemeinsames-Lernen und ähnliche Debatten. Ihre pädagogische
Irrelevanz tritt hinter der Popularität solcher Forderungen zurück, da sie
politisch umsetzbar und leicht zu verstehen sind. Demgegenüber sind die konkreten
wissenschaftlichen Empfehlungen wenig spektakulär und polarisierend, dafür umso
schwerer durchzusetzen, da nicht einfache Lehrplanänderungen ausreichen,
sondern die konkreten Unterrichtssituationen verbessert werden müssen.
Die provokativen Forderungen greifen nicht nur an den
falschen Stellen an, sie verschlingen auch deutlich mehr gesellschaftliche
Ressourcen, als für eine wahrnehmbare Verbesserung der Bildungssituation nötig
wäre. Einerseits verbrauchen die Auseinandersetzungen um G8 und seine
Alternativen einen enormen Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit. Andererseits
entstehen durch immer wieder neue Bildungsreformen große Arbeitsmengen in der
Verwaltung, aber auch große Verluste bei der Umstellung des Lehrbetriebs. Ein
Lehrer, der sich immer wieder an einen neuen Lehrplan anpassen muss, kann
weniger darin investieren, seine Lehrmethoden zu verbessern.
Die Standardpläne für Reformen sind viel zu große Eingriffe
in die Struktur an falschen Stellen. Ihr ständiges Wiederholen heizt die
Debatte auf, ebenso ohne Erfolg, da dadurch die Sachlichkeit verloren gibt.
Kurz gesagt: Es wird zu viel und zu viel Falsches über Bildung geredet, um die
Bildung zu verbessern.
Wie sollte also die Bildungsdebatte der Zukunft gestaltet
sein?
Wichtig ist, dass der Einfluss von Möchtegern-Experten
minimiert wird. Die Diskussion muss sich mehr an konkreten Fakten orientieren.
Dies lässt sich nicht direkt steuern. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre
es aber, wenn es ein Bildungsreformmoratorium wie in Hamburg gibt. Die Länder
sollen sich einigen, die nächsten Jahre keine größeren Veränderungen
durchzuführen, bis es ein verlässliches, wirklich effizientes Reformkonzept
gibt, das nicht auf möglichst große Veränderungen, sondern möglichst effiziente
Konzepte abzielt. Bildung darf nicht mehr von Legislaturperioden oder
Trendströmungen abhängen, denn ansonsten
gefährden wir unsere Zukunft.
eine sehr gute Analyse der nur noch dies hinzuzufügen wäre:
AntwortenLöschenbedingt durch die Kulturhoheit diskutieren wir mindestens bei jeder Wahl das Thema Bildung. Das bedeutet also in durchschnittlich 4 Jahren 16 mal plus Bundestagswahl. Damit ist das "Risiko" verbunden, dass durch einen Regierungswechsel oder Wahlversprechen der regierenden Partei die Bildungspolitik im jeweiligen Bundesland verändert wird. Somit haben wir ein recht hohes Risiko von Veränderungen. Daher kann die Forderung vernünftiger Menschen nur lauten: Die Zuständigkeit für Schulbildung muss zentralisiert werden. Nur so schafft man Kosteneffizienz und Kontinuität und die Chance, dass sich Lehrer auf den Bildungsauftrag konzentrieren können und nicht auf die permanente Veränderung im Lehrplan oder um Schulreformen.