Donnerstag, 3. Juli 2014

Niklas Götz
Monatsthema 7/14

Warum haben Pflanzen keine Rechte? Warum ist der Verzehr von Hunden verboten? Warum haben viele Menschen, obwohl sie Rind und Hühnchen lieben, Probleme mit dem Verspeisen von Kalb und Stubenkücken? Die Antwort ist einfach: Der Mensch gleicht manches Tier an sich an.




Es gibt unzählige theoretische Ansätze für ethische Modelle, die jedoch stets ein Problem haben: Woher beziehen sie ihre Legitimation? Warum gerade dieses Modell und nicht ein anderes? Und wenn es wirklich so überlegen ist: Warum hält sich nicht jeder daran?

Bei der Tierethik ist das nicht anders. Immer wieder neue Erkenntnisse verleiten dazu, zumindest manchen Tierarten ein Stück Menschlichkeit zuzusprechen – doch kannman Menschlichkeit aufteilen? Sollte der Mensch jahrtausende alte Verhaltensweisen gegenüber Tieren aufgeben? Wie ist mit Tieren als "Halb-Menschen" umzugehen?

Ein theoretischer Ansatz erzeugt offensichtlich mehr Fragen als Antworten. Deshalb möchte ich die Tierethik beschreiben, die wirklich realisiert ist: das intuitive Verhalten der Menschen. Dabei möchte ich diese keineswegs gutheißen oder als Lösung darstellen. Dennoch hat sich jede Theorie der Tierethik an dieser zu messen, will sie den wirklich in die Tat umgesetzt werden.

Dem modernen mitteleuropäischen Menschen, auf den ich mich begrenzen muss, begegnet das Tier nurmehr hauptsächlich als Haustier und auf dem Teller. Diese Gebiete sind scharf abzugrenzen – wird diese Grenze gebrochen, führt dies zu gesamtgesellschaftlicher Empörung, siehe Pferdefleischskandal, Veganismuswerbung und Stereotypen zu chinesischen Essgewohnheiten.

Wo liegt aber der elementare Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, oder provokanter ausgedrückt: Was hat der Golden Retriever, was die Mastsau nicht hat?

Diese Frage ist aber die falsche Herangehensweise. Es gibt Brüche von der Trennung der beiden Bereiche auch in die andere Richtung, wenn zum Beispiel ein Mastschwein zum Haustier wird. Auch so etwas sorgt für Verwirrung, dennoch hat auch ein Nutztier die grundsätzliche Fähigkeit zum "sozialen Aufstieg" als Haustier. Demnach ist es nicht primär Problem der Rasse, sondern der Umstände.

Vielleicht ist es hilfreich zu betrachten, wie das Verhalten der Menschen zu Nutztieren und Haustieren ausgestaltet ist, dies jeweils in den Extremfällen, da es auch eine breite Übergangszone gibt. Wie bereits der Name schon sagt, sieht man ein Nutztier als eine belebte und von Gesetzes wegen besonders geschütze Produktionseinrichtung. Diese ist genormt, erhält keine emotionale Aufmerksamkeit und hat keine Beziehung zum Menschen, die in irgendeiner Weise der Beziehung zwischen Menschen entspricht. Das Nutztier ist ein Objekt, wie ein Teigkneter auch, nur erfordert es mehr Aufwand um betrieben zu werden. Die Psyche des Tieres erfährt keine Achtung, sondern muss nur insofern der Einhaltung von Produktivität und Produktqualität im Herstellungsprozess berücksichtigt werden.

Das Verhalten gegenüber Haustiere gestaltet sich größtenteils gegenteilig. Haustiere werden oftmals als Familienmitglieder betrachtet, inklusive der sich daraus ergebenden Rechte. Sie dienen häufig als Ersatz für fehlende soziale Kontakte, weshalb man sich dann auch zu ihnen verhält als wären sie menschlich – man spricht sie an, setzt ihr Verstehen voraus und interpretiert ihr Verhalten als Ergebnis bewusster und menschlicher Denkprozesse, teilweise als Denkprozesse eines Kindes. Führt man dies zusammen, so ist das Haustier ein Subjekt, das vollständig vermenschlicht ist. Der tierische Körper ist nur noch die Erscheinungsform, begleitet von der mangelnden Fähigkeit zu sprechen.

Aus diesen Rollendiskrepanzen ergibt sich auch eine Diskrepanz in der Ethik – während dem Tier als Objekt nur minimale Recht zukommen, so hat das Tier als Subjekt in weiten Teilen den gleichen Wert wie ein menschliches Individuum.

Nun können wir diese Unterscheidung auch verallgemein und dann doch noch einmal zwischen verschiedenen Fällen bei den Tierarten differenzieren.

Der Mensch kennt also nur dann eine Tierethik, wenn er die Menschenethik auf Tiere erweitert, indem er Tiere zur Gemeinschaft der Menschen hinzufügt. Dies erfordert den Vorgang der Vermenschlichung.

Dieser Vorgang kann durch verschiedene Umstände vereinfacht und damit beschleunigt werden. Betrachtet man nun Tiere, die gemeinhin beliebt sind (Haustiere, Delfine, Pandas), so zeigen diese Eigenschaften wie das Erfüllen des Kindchenschemas, eine hohe Intelligenz, gewisse Ähnlichkeit in den Gesichtszügen zu denen der Menschen, keine allzu fremde Physiologie und menschenfreundliches Verhalten. Dies erleichtert aufgrund der Nähe zum Menschen die Vermenschlichung und gibt ihnen somit exklusive Rechte. Die tierische Erscheinungsform in Physis und Psyche kann leichter ignoriert werden, wenn sie kaum von der eigenen abweicht.

Andere Tiere, die gesellschaftlich verachtet sind (Haie, Spinnen, Schlangen) zeichnen sich durch gegenteilige Eigenschaften dar – schlechtes, gefährliches Image, unmenschliche Physiologie und ein irritierendes Verhalten. Hier ist aufgrund der großen Unterschiede keine Vermenschlichung möglich und damit kein ethisches Verhalten. Ähnliches auch bei nicht "gewöhnlichem" tierischem Leben, wie Weichtiere, welche so unmenschlich sind, dass ihnen keinerlei Schutz zukommt.

Auch die Engstirnigkeit vieler Menschen im Bezug auf die grundsätzliche Gleichberechtigung von pflanzlichem und tierischem Leben ist damit begründet, dass pflanzliche Lebensformen optisch nicht vergleichbar mit tierischem und damit menschlichem Leben sind.

Entscheidend für den Vorgang der Vermenschlichung ist auch der Kontakt – nur wenn der Kunde das Schwein vorher kannte, hat er Probleme mit dem Verzehr des Schnitzels. Der Kontakt mit dem Tier beziehungsweise die Möglichkeit, sich das Tier mit seiner Persönlichkeit vorzustellen, ist notwendig für die Vermenschlichung. Nur wenn dem Tier eine individuelle Persönlichkeit zugesprochen werden kann, wird es auch in ethische Überlegungen einbezogen.

Die momentan vorfindbare Bioethik, welche sich ja auch in der Gesetzgebung wiederfindet, ist deshalb grundsätzlich anthropozentrisch, da es keine eigene Ethik für die Beziehung Mensch-Tier gibt, sondern nur die Tiere in die Menschenethik miteinbezogen werden.

Das diese Ethik nicht fair ist, steht außer Frage. Jedoch können wir den Schluss ziehen, dass Menschen möglicherweise gar nicht zu einer nicht-anthropozentrischen Ethik fähig sind. Warum nehmen sie sonst den Umweg über die Vermenschlichung von Nicht-Menschlichen?

Jede zukünftige Tierethik muss möglicherweise anthropozentisch sein, um auch wirklich erfolgreich umgesetzt werden zu können.

3 Kommentare:

  1. Ein äußerst schwieriges Thema. Ich stimme dir auf jeden Fall insoweit zu, dass jede Tierethik anthropozentrisch sein muss, wenn sie realistisch sein will. Wo man jedoch die Grenzen zieht, ist jedoch eine so individuelle Angelegenheit, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass man es schaffen wird, eine systematische Tierethik aufzustellen, der auch nur der Großteil der Bevölkerung zustimmt.

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  2. Nunja, theoretisch müsste eine Tierethik ja biozentrisch sein, da ja die Tiere ethische Objekte sein sollen. Nur der Mensch scheint dazu nicht fähig.
    Eine Tierethik, die von vielen Menschen aktzeptiert wird, ist möglich. Allerdings nur in Verbindung mit Ideologien und Religionen, wie im Hinduismus.

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  3. http://www.n-tv.de/panorama/Zweierlei-Mass-beim-Fleischkonsum-article13535831.html

    ein passender Artikel zu diesem Thema

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