Martin Lotter
Monatsthema 11/14
Angst vor Russland ist nicht per se
vorhanden, sondern Angst entwickelt sich oder wird geschürt. Was hat Russland selbst zu der Angst beigetragen?
Foto: Theresa Kruse |
Machen wir einen Vergleich: Haben
Luxemburg oder Belgien Angst vor Deutschland? Beide Länder sind weit
kleiner als Deutschland und wurden im letzten Jahrhundert zweimal von
Deutschland überfallen. Beide Länder haben heute keine Angst vor
Deutschland.
Russland – zumindest in der
Putin-Ära – ist groß und provoziert heftig. Putin annektiert oder
destabilisiert Regionen, welche er als „sein“ Einflussgebiet
sieht, egal ob diese eine eigener Staat sind oder nicht. Die Krim
oder Ostukraine ist nur weitere Regionen. Georgien, Tschetschenien
sind Beispiele aus früherer Zeit. Russland ist revanchistisch. Die
Sowjetunion hat sich friedlich aufgelöst und es scheint, als ob
Putin die Sowjetunion unter Russlands Führung wieder implementieren
will. Russland erkennt keine bestehenden Grenzen an. Im Balkankrieg
haben Serben argumentiert: Dort, wo serbische Gräber sind, ist
Serbien. Ähnlich denkt Putin.
Zum Vergleich: Denkt Deutschland so?
Annektiert oder destabilisiert Deutschland Regionen, welche es
beeinflussen will? Oder ist Deutschland nicht zurückhaltend und eher
devot? Unsre Nachbarn könnten im Hinblick auf unsere Vergangenheit
Angst vor Deutschland haben. Deutsche Gräber sind vom Elsass bis ins
jetzige Polen. Aber wir haben auf jegliche Grenzanpassung verzichtet.
Und jeder Deutsche, der diese Thema anschneidet (vereinzelt
Mitglieder der Vertriebenenverbände), wird sofort zum Paria erklärt!
Es ist also das Verhalten der führenden Politiker und der
gesellschaftlichen Gruppen, welche sie unterstützen, die Ängste im
Ausland schüren. Ein anderer Politiker als Putin, der sich moderat
verhält, könnte Ängste vor Russland in den Nachbarstaaten abbauen.
Da dem nicht so ist, muss auch das Baltikum vorsichtig sein und deren
ist Angst berechtigt.
Ängste
resultieren aber nicht nur aus der besorgniserregenden Außenpolitik,
sondern auch aus der Innenpolitik Russlands. Vergleichen wir auch
hier wieder die EU-Länder und Russland. Nehmen wir als Beispiel die
Pressefreiheit. Sie ist in der EU ein hohes Gut. Ungarn wird scharf
kritisiert, weil es dort Ansätze von Zensur gibt. In Russland ist
die Medienlandschaft praktisch verstaatlicht. Die letzten
ausländischen Konzerne wie Springer und Burda müssen die Mehrheit
ihrer Medienunternehmen an russische Firmen verkaufen. Freien
Journalismus gibt es praktisch nicht mehr.
Beispiel Meinungs- und
Demonstrationsfreiheit. Unzählige politisch aktive Menschen sind in
Russland inhaftiert. Politische Parteien werden verboten oder massiv
behindert. Nur die Putinpartei genießt in den Medien Aufmerksamkeit.
Das Justizsystem ist nicht unabhängig. Politische Prozesse sind die
Regel. Wie bei Pussy Riot oder dem Ölmilliardär Chodorkowski
entscheiden die Gerichte so wie es der Kreml vorgibt. Russland ist
weit von einer „lupenreinen Demokratie“ entfernt. Es ist weit von
Maßstäben entfernt nach denen wir in der EU eine freiheitlich
demokratische Grundordnung und einen Rechtsstaat haben. Kein Wunder,
dass wir Angst vor Russland haben. Putins Russland ist anders. Und je
näher man an Russland wohnt - wie beispielsweise die Balten – umso
mehr Angst muss man haben. Das ist verständlich.
Russland hat aber auch eine andere
Konfliktkultur als Westeuropa. Wir konnten dies recht gut an den
jungen russischen Übersiedlern erkennen. Es kam und kommt in
Deutschland immer wieder vor, dass junge russische Männer in
gewalttätige Konflikte geraten. Während gerade in West- und
Mitteleuropa Konflikte entweder verbal oder vor Gericht ausgetragen
werden, neigen Russen dazu Konflikte mit körperlicher Gewalt
auszutragen. Relativ viele junge Russen sind in Deutschland Insassen
in Gefängnissen. Das schafft kein Vertrauen in Russland. Sind die
Menschen in Russland alle so wie diese jungen Russen könnte man
fragen?
Angst vor Russland hat aber auch
etwas mit der Erinnerung zu tun. Und mit der Frage, wie man mit der
belasteten Erinnerung umgeht. Berechtigte Angst könnten auch
Franzosen, Belgier oder Polen vor Deutschland haben. Aber Deutschland
tut viel für ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn, also für
Völkerverständigung. Schüleraustausch und Städtepartnerschaften
sind nur zwei Beispiele. Die Menschen in den Nachbarstaaten von
Russland, insbesondere Deutschland, haben sehr schlechte
Erinnerungen. Nicht nur an die Gräueltaten der Russischen Armee im
zweiten Weltkrieg. Die Unterwerfung des Baltikum und anderer
osteuropäischer Staaten oder die Unterdrückung der
Freiheitsbestrebungen in Ungarn und Tschechien sind Beispiele für
negative Erfahrungen. Was tut Russland für die Völkerverständigung?
Gerade mit seinen baltischen Nachbarn? Oder mit Polen? Angst baut man
ab, indem man Vertrauen aufbaut. Vertrauten baut man mit Taten auf.
Das Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine schürt Ängste. Die
Erpressung mit Gaslieferungen ist eben nicht vertrauensfördernd.
Alte Erinnerungen werden wieder wach. Die aktuellen militärischen
Provokationen im Luftraum über der EU sind ein weiteres Beispiel.
Angst baut man leider auch mit Taten
auf. Putin ist ein Täter. Wir können nur hoffen, dass nach Putin
ein Regierungschef an die Macht kommt, der besonnener ist und
Vertrauen aufbaut. Deutschland hat es geschafft. Russland kann es
auch schaffen.
Ein guter Artikel! Du fasst die momentane Situation gut zusammen, so, wie viele sie sehen. Die Frage bleibt nur: wie lässt sich der status quo (zum Positiven) verändern?
AntwortenLöschenKurze Anmerkung vorab: Als "devot" würde ich Deutschland nicht bezeichnen, eher sehr kompromissbereit. Ob die erhöhte Straftatenquote unter jungen Russen wirklich an der Kultur liegt oder nicht eher viel mehr an dem niedrigeren sozialen Status, kann ich nicht klar sagen.
AntwortenLöschenRussland hat meiner Meinung nach nicht die Absicht, Angst unter der Bevölkerung zu schüren - man siehe hierzu die Selbstdarstellung im neuen deutschen Fernsehsender von Russia Today. Aber es will mehr Macht - ob dies an Putin oder seinen Beratern liegt, weiß man nicht. Aber man darf nicht mitspielen, sich nicht provozieren lassen. Das haben wir schon bei der Kuba-Krise gelernt.