Martin Lotter
Während von Möchtegern-Experten die Fußballspiele detailliert analysiert werden, lohnt es sich auch, die Minuten vor dem Spiel genau zu untersuchen - sie werfen einige Fragen auf.
By Steindy (talk) 11:08, 4 June 2011 (UTC) (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons |
Es ist immer das gleiche Bild und
ergreifender Moment. Kurz bevor der Schiedsrichter ein WM-Spiel der
deutschen Nationalmannschaft anpfeift wird unsere Nationalhymne
gespielt. Am Spielfeldrand sieht man Jogi uns sein Team singend Arm
in Arm mit den Reservespielern. Auf der Tribüne stehen die
Funktionäre von ihren bequemen Sitzen auf und singen stolz "Einigkeit
und Recht und Freiheit für das Deutsche Vaterland". Die mitgereisten
deutschen Fans singen sowieso. Auf den Fanmeilen überall in
Deutschland beim Public Viewing erbebt sich ein schwarzrotgoldener
fahnenschwenkender Chor. Aus tausenden Kehlen wir die deutsche
Nationalhymne gesungen. (siehe die vielen Videos auf Youtube). Das
hat Gänsehautcharakter.
Die Kamera zeigt unsere 11
Nationalspieler einzeln in Großaufnahme. Sie beginnt links und zeigt
als erstes Özil. Er starrt geradeaus, keine Lippe bewegt sich. Er
sing nicht mit. Ein Laie könnte meinen er ist ein Spieler der
gegnerischen Mannschaft. Gleich danach zeigt die Kamera Sami Khedira.
Ebenfalls blickt er stumm und reglos geradeaus. Gleiches gilt für
Boateng. Erst als die Kamera Müller ins Bild bringt sieht man den
ersten Spieler singen. Müller kennt jeder, also ist es doch die
deutsche Nationalmannschaft die im Bild ist. Die Kamera zieht an
weiteren Spielern vorbei: Schweinsteiger, Mertesacker, Kroos, Hummles
Neuer und Lahm. Sie alle singen mit. Sie alle haben einen deutschen
Pass und sind damit Deutsche genau wie Özil, Boateng und Khedira.
Aber warum singen die beiden nicht mit ?
Was ist es, was in den Köpfen von Özil
und Khedira vorgeht? Fehlt es am Zugehörigkeitsgefühl? Eine Hymne
verbindet. Fühlt sich Boateng nicht mit Deutschland verbunden? Warum
spielen Sie für Deutschland Fußball? Sind sie Söldner, spielen sie
nur für Geld und Karriere? Boatengs Bruder spielt für Ghana. Özil
entschied sich für Deutschland, und nicht für die Türkei. Warum
solidarisiert er sich nicht mit den Millionen Fans am Fernseher oder
auf den Fanmeilen und singt die deutsche Hymne? Es würde ein Zeichen
der Integration sein, ein Zeichen der erfolgreichen Integration.
Eine Weltmeisterschaft ist nicht die
Bundesliga. In der Bundesliga spielen anonyme Vereine gegeneinander.
Es regiert das Geld. Wer die besten Spieler und Trainer hat gewinnt
- meistens zumindest. Bundesligaspiele sind moderne
Gladiatorenkämpfe.
Bei der WM senden die Nationen ihre
besten Spieler. Deswegen wird auch die Nationalhymen gespielt.
Deswegen reisen auch die Kanzlerin oder der Spanische König zu den
Spielen. Nationen messen sich im Sport. Welcher Nation gehört Özil
an? Rein formal und im Herzen - scheinbar sind das zwei
unterschiedliche Ebenen.
Özil, Boateng und Khedira verpassen
mit dem Singen der Nationalhymne eine Chance. Die Chance allen in
Deutschland zu zeigen, dass die dazugehören, dass sie Teil unserer
Nation sind. Sie verpassen die Chance zu zeigen, dass Integration von
Ausländern funktioniert.
Wenn 27 Mio.
Menschen das Spiel Deutschland-Portugal gesehen haben, dann haben 27
Mio. Deutsche gesehen, dass Özil mit dem krampfhaften und fast
peinlichen Schweigen Ihnen gezeigt hat, dass er anders ist. Dass er
nicht zu ihnen – zu Deutschland - dazugehören will. Özil,
Boateng und Khedira verpassen die Chance den vielen Kindern mit
Migrationshintergrund zu zeigen, dass man Teil der neuen Nation werden
kann in die einen das Schicksal verschlagen hat.
Kommentar »dort.
AntwortenLöschenIch weiß nicht, ob man dieser Beobachtung so viel Bedeutung beimessen sollte. Natürlich wäre es schön, wenn alle Spieler auch mitsängen. Allerdings kann ich mir auch vorstellen, dass man kurz vor einem so großen Spiel noch andere Sorgen im Kopf hat... Und die "Spieler mit Migrationshintergrund" (oder wie auch immer man sie nennen will) so herauszupicken, finde ich erst gerechtfertigt, wenn es eine Beobachtung ist, die sich über viele Spiele konstant hinwegerstreckt.
AntwortenLöschenGrundsätzlich ist es ja jedem freigestellt, ob er singen möchte oder nicht. Man sollte Fußball nicht allzu sehr nationalistisch aufladen, schließlich sollte die WM ja eigentlich Völker verbinden und nicht trennen - ob nun zwischen oder innerhalb der Staaten.
AntwortenLöschenIch halte die Fokussierung auf diesen Aspekt für gefährlich - man könnte in das Verhalten der Spieler auch mehr hineininterpretieren, als wirklich dahintersteckt.
Ich finde die Argumentation, dass die Sportler durch das Nicht-Mitsingen die Integration verweigern absolut nicht haltbar. Das hat für mich nichts miteinander zu tun - ist es da nicht viel mehr Integration oder überhaupt internationaler Austausch, dass die Spieler aus verschiedenen Nationen kommen und dann zusammen spielen? Sei es nun in der Bundesliga oder in den "Nationalmannschaften". Das ist eigentlich kein großer Unterschied...
AntwortenLöschenes geht nicht um das Verweigern von Integration sondern um das Versäumen der Chance zu zeigen dass man dazugehört.
LöschenNicht mitsingen heißt damit nicht integriert zu sein, oder Integration verweigern, das will niemand unterstellen, aber Mitsingen wäre ein Zeichen an die Migranten zuhause am Bildschirm
heute konnte man vor dem Spiel gegen Brasilien wurde diese Chance wieder vergeben
ich glaub, ich versteh ein bisschen, was du meinst. Aber ich finde es trotzdem schwierig, da so einen Zusammenhang zu sehen. Inwieweit Nationalhymnen in einem Europa oder einer Welt in der Gemeinschaft und Globalisierung immer bedeutender werden, noch zeitgemäß sind. Und um noch ein anderes Fass aufzumachen: Die Gelder, die für Merkels Brasilien-Flüge ausgegeben werden, würden anderswo - beispielsweise bei der Investition in Sprachlernklassen - doch mehr Integration bewirken.
LöschenDas finde ich eine interessante Frage, esakru: Hat die Nationalhymne heute überhaupt noch mehr als eine formelle Bedeutung, ist sie vllt. wie der Bundespräsident auch eher repräsentativ? Definieren sich die Deutschen überhaupt noch über ihre Nationalhymne?
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