Niklas Götz
Im ersten
Teil wurden bereits zahlreiche Missstände im Zusammenhang von WM und
FIFA angeführt. Jetzt ziehe ich die Konsequenzen. Zuvor möchte ich
noch auf die Rolle der WM in der heutigen Gesellschaft eingehen.
Die Umweltzerstörung, die Korruption, die Fehltritte der Fußballer
und die fragwürdigen Werbestrategien interessieren die meisten
Fußballfans nicht. Diese sind zu sehr geblendet von dem medialen
Erbeben rund um die Weltmeisterschaft, der minutenweisen
Berichterstattung und vor allem der etablierten sozialen Funktion,
die die WM eingenommen hat.
Am besten vergleichen kann man dies mit dem Super-Bowl in den USA:
Nicht die sportlichen Leistungen auf dem Platz sind meist von
Interesse, sondern viel mehr das soziale Erlebnis. Fußball dient in
der mittlerweile eher genussfeindlichen Leistungsgesellschaft als
perfekte Ausrede für kollektiven Alkoholismus, exzessiven
Wurstwarenverzehr und ekstatischem Verhalten. Dem hat auch Public
Viewing (oder besser Rudelgucken – "Public
Viewing" heißt auf Deutsch "Leichenschau"; dies würde
aber zu mancher Mannschaft passen) seinen Erfolg zu verdanken, denn
es vergrößert die Anzahl der Menschen, die trotz tausender
Kilometer Entfernung zum Stadion gemeinsam an dem Erlebnis teilhaben
können. Die WM ist ein Hochfest des Hedonismus – was zählt ist
Spaß, jeglicher Rationalismus wird über Bord geworfen. Aus diesem
Grund ist während der WM auch alles erlaubt, mehr noch als bei
Fasching. Gesetze werden abgeändert, gesunde Ernährung, Leistung,
politische und gesellschaftliche Probleme für einen Monat ignoriert.
Fußball ist in unserer Gesellschaft mehr als nur ein Sport.
Dies wird besonders dann deutlich, wenn man die Parallelen zwischen
Fußball und Religionen bedenkt. Nach Feuerbach geben Religionen den
Menschen Anerkennung, die ihnen im Privatleben versagt wird, ein
Zugehörigkeitsgefühl, einen Sinn über den Alltag und das Leben
hinaus, Selbstbewusstsein, Gemeinschaft, die sich in rituellen
Handlungen (Messen/Spiele) institutionalisiert – dies alles wurde
längst für den Fußball nachgewiesen (siehe http://www.report-psychologie.de/news/artikel/fussball-als-religion/). Doch ist er dessen noch
würdig? Kann man diese Situation im Weltfußball verantworten, wenn
er für die Menschen solch eine Bedeutung hat? Ist die Rolle von
Fußball in unserer Gesellschaft nicht zu groß, um solche Missstände
zu erlauben?
Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, bevor ich
Konsequenzen ziehe. Es wird oft behauptet, eine WM würde die
Menschen der Welt versammeln, Nationen verbinden, Grenzen überwinden.
Es sei dahingestellt, dass viele Nationen der Welt gar keinen Fußball
kennen. Doch ich möchte zu diesem Argument zu bedenken gaben, dass
Fußball nationalistischer ist als viele andere Dinge. Es ist
erstaunlich, dass die normalerweise absolut nicht patriotischen
Deutschen plötzlich alles in Schwarz-Rot-Gold schmücken: Autos,
Gesichter, Puddings, Gummibärchen, Haare...
Noch mehr schockiert mich die Frage an Menschen mit türkischem
Migrationshintergrund, welche Mannschaft sie denn nun anfeuern
würden. Bedenkt man auch noch die Ausschreitungen, zu denen Fußball
regelmäßig führt, so sehe ich hier keine Spur von
Völkerverständigung. Ist es nicht eher so, dass Fußball die
Konflikte zwischen Völkern offen austrägt, die sonst nur schwelen? Ist nicht noch hinzuzufügen, dass oft neue
Feindschaften entstehen, wie zwischen Deutschland und den
Niederlanden oder Deutschland und England? Hat Fußball irgendeinen
Konflikt je verhindern können?
Ich habe nun aufgeführt, dass insbesondere bei dieser WM die
Austragung in einem unterentwickelten Land schockierende Folgen für
die Situation von Mensch und Umwelt am Austragungsort hat, dass die
FIFA extrem korrupt, profitgierig und menschenverachtend ist, dass es
auch um den deutschen Fußball nicht besser bestellt ist, dass die
Werbepartner der WM scheinheilig ein positives Bild von sich
verbreiten, indem sie sich als Partner der Fans ausgeben und nebenbei
Arbeiter ausbeuten oder Felder verdorren lassen, dass
Völkerverständigung nicht über die WM erreicht wird und dass
Fußball eine enorme Rolle in unserer Gesellschaft hat, die
Konsequenzen der Verantwortung jedoch nicht zieht.
Welche Konsequenzen sollen wir daraus ziehen?
Ich möchte niemanden seinen Spaß verderben, und sehe ein, dass die
WM nicht die einzige soziale Baustelle ist. Aber es ist die
prominenteste. Ich rufe daher zum Boykott auf – zum Boykott der WM
2014 sowie aller Sponsoren und Fanprodukte. Jeder, der die Dimension
dieses globalen sozialen Ungleigewichts, dass sich in dieser
Veranstaltung zeigt, nachvollzieht, muss es als seine Pflicht sehen,
dagegen vorzugehen. Es kann nicht sein, dass ein kleiner Kreis an
Menschen in den entwickelten Ländern blinden Hedonismus schürt, um
durch diesen Geld auf Kosten der Bevölkerung in der dritten Welt zu
verdienen. Die sozialen Mechanismen des Fußballs werden radikal
ausgenutzt, um Profit zu machen. Niemand profitiert von der WM außer
der FIFA und ihren Sponsoren. Alle Versprechen, die die WM macht,
werden nicht eingehalten, sondern eher ins Gegenteil verkehrt.
Die WM ist ein sadistisches Konzept, dass die Rechte der Bevölkerung
in Entwicklungsländern missachtet. Sie lebt von der blinden
Spaßgesellschaft, die sich immer mehr etabliert. Doch wenn das Leid
in Brasilien, Südafrika und Katar sowie die Korruption nicht mehr
ignoriert werden, wenn Sepp Blatter, die Fußballer und Co. ihrer
Scheinheiligkeit beraubt werden, wenn erkannt wird, dass auch Fußball
Verantwortung übernehmen muss, kann sich etwas ändern.
Viele Sportler verurteilen, Politik und Sport zu vermischen. Wenn ich
Sportler wäre, würde ich das auch tun, denn ich hätte ein
Interesse daran, die beiden Dinge auseinanderzuhalten. Doch überall
wo gesellschaftliche Fragen entstehen, ist auch Politik da. Sport
muss Verantwortung übernehmen, weil er Teil der Gesellschaft ist,
weil die Existenz vieler Menschen davon abhängt. Verantwortung in
der Gesellschaft zu übernehmen heißt, sich aufs politische Feld zu
begeben. Politik und Sport sind nicht mehr zu trennen.
Darüber hinaus tut die Politik viel für Sport: Es fördert ihn und schützt ihn vor ungerechtfertigten Einflüssen. Im Gegenzug kann Politik auch die Gesellschaft vor ungerechtfertigten Einflüssen seitens des Sports schützen. Sport darf in unserer Gesellschaft keine Narrenkappe tragen.
Darüber hinaus tut die Politik viel für Sport: Es fördert ihn und schützt ihn vor ungerechtfertigten Einflüssen. Im Gegenzug kann Politik auch die Gesellschaft vor ungerechtfertigten Einflüssen seitens des Sports schützen. Sport darf in unserer Gesellschaft keine Narrenkappe tragen.
Wer das leugnet, weigert sich Verantwortung zu übernehmen.
Wer sich weigert, Verantwortung zu übernehmen, befürwortet den
Status quo.
Wer den Status quo befürwortet, hat Mitschuld an der Situation der
ausgebeuteten Menschen.
Ich fordere jeden auf, sich vom blinden Hedonismus zu trennen und zu
überlegen, ob er etwas feiern kann, was wenigen Hundert Menschen
dient und viele Millionen Menschen ins Verderben stürzt. Wenn viele
Leute der WM fernbleiben, die Produkte der Sponsoren nicht mehr
kaufen würden, könnte ein Umdenken stattfinden. Die Nachfrage
bestimmt das Angebot. Das jetzige Konzept der FIFA könnte geändert
werden. Bald hieße es nicht mehr "WM gegen die Menschen",
sondern "WM mit den Menschen". Noch immer bestimmen die
Fans das Spiel. Nutzt eure Macht als Konsument! Boykottiert diese
Spiele, die zu Lasten ganzer Völker gehen! Zeigt eure Empörung und
weist die FIFA wieder in ihre Grenzen zurück!
Es gibt viele sinnvolle Sachen, die man in 90 Minuten tun kann –
die FIFA bei ihrem kriminellen Verhalten durch schweigende Zustimmung
und konformen Verhalten zu unterstützen gehört nicht dazu.
"Es sei dahingestellt, dass viele Nationen der Welt gar keinen Fußball kennen."
AntwortenLöschenEhrlich gesagt kenne ich da keine - oder welche meinst du?
Mit "gar keinen Fußball kennen" meine ich, dass viele Nationen die südamerikanisch-europäische Begeisterung für Fußball nicht teilen - wie z.B. Asien und der Mittlere bzw. Nahe Osten.
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