Mittwoch, 11. Juni 2014

 Niklas Götz

Im ersten Teil wurden bereits zahlreiche Missstände im Zusammenhang von WM und FIFA angeführt. Jetzt ziehe ich die Konsequenzen. Zuvor möchte ich noch auf die Rolle der WM in der heutigen Gesellschaft eingehen.






Die Umweltzerstörung, die Korruption, die Fehltritte der Fußballer und die fragwürdigen Werbestrategien interessieren die meisten Fußballfans nicht. Diese sind zu sehr geblendet von dem medialen Erbeben rund um die Weltmeisterschaft, der minutenweisen Berichterstattung und vor allem der etablierten sozialen Funktion, die die WM eingenommen hat.


Am besten vergleichen kann man dies mit dem Super-Bowl in den USA: Nicht die sportlichen Leistungen auf dem Platz sind meist von Interesse, sondern viel mehr das soziale Erlebnis. Fußball dient in der mittlerweile eher genussfeindlichen Leistungsgesellschaft als perfekte Ausrede für kollektiven Alkoholismus, exzessiven Wurstwarenverzehr und ekstatischem Verhalten. Dem hat auch Public Viewing (oder besser Rudelgucken – "Public Viewing" heißt auf Deutsch "Leichenschau"; dies würde aber zu mancher Mannschaft passen) seinen Erfolg zu verdanken, denn es vergrößert die Anzahl der Menschen, die trotz tausender Kilometer Entfernung zum Stadion gemeinsam an dem Erlebnis teilhaben können. Die WM ist ein Hochfest des Hedonismus – was zählt ist Spaß, jeglicher Rationalismus wird über Bord geworfen. Aus diesem Grund ist während der WM auch alles erlaubt, mehr noch als bei Fasching. Gesetze werden abgeändert, gesunde Ernährung, Leistung, politische und gesellschaftliche Probleme für einen Monat ignoriert. Fußball ist in unserer Gesellschaft mehr als nur ein Sport.


Dies wird besonders dann deutlich, wenn man die Parallelen zwischen Fußball und Religionen bedenkt. Nach Feuerbach geben Religionen den Menschen Anerkennung, die ihnen im Privatleben versagt wird, ein Zugehörigkeitsgefühl, einen Sinn über den Alltag und das Leben hinaus, Selbstbewusstsein, Gemeinschaft, die sich in rituellen Handlungen (Messen/Spiele) institutionalisiert – dies alles wurde längst für den Fußball nachgewiesen (siehe http://www.report-psychologie.de/news/artikel/fussball-als-religion/). Doch ist er dessen noch würdig? Kann man diese Situation im Weltfußball verantworten, wenn er für die Menschen solch eine Bedeutung hat? Ist die Rolle von Fußball in unserer Gesellschaft nicht zu groß, um solche Missstände zu erlauben?


Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, bevor ich Konsequenzen ziehe. Es wird oft behauptet, eine WM würde die Menschen der Welt versammeln, Nationen verbinden, Grenzen überwinden. Es sei dahingestellt, dass viele Nationen der Welt gar keinen Fußball kennen. Doch ich möchte zu diesem Argument zu bedenken gaben, dass Fußball nationalistischer ist als viele andere Dinge. Es ist erstaunlich, dass die normalerweise absolut nicht patriotischen Deutschen plötzlich alles in Schwarz-Rot-Gold schmücken: Autos, Gesichter, Puddings, Gummibärchen, Haare...


Noch mehr schockiert mich die Frage an Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, welche Mannschaft sie denn nun anfeuern würden. Bedenkt man auch noch die Ausschreitungen, zu denen Fußball regelmäßig führt, so sehe ich hier keine Spur von Völkerverständigung. Ist es nicht eher so, dass Fußball die Konflikte zwischen Völkern offen austrägt, die sonst nur schwelen? Ist nicht noch hinzuzufügen, dass oft neue Feindschaften entstehen, wie zwischen Deutschland und den Niederlanden oder Deutschland und England? Hat Fußball irgendeinen Konflikt je verhindern können?


Ich habe nun aufgeführt, dass insbesondere bei dieser WM die Austragung in einem unterentwickelten Land schockierende Folgen für die Situation von Mensch und Umwelt am Austragungsort hat, dass die FIFA extrem korrupt, profitgierig und menschenverachtend ist, dass es auch um den deutschen Fußball nicht besser bestellt ist, dass die Werbepartner der WM scheinheilig ein positives Bild von sich verbreiten, indem sie sich als Partner der Fans ausgeben und nebenbei Arbeiter ausbeuten oder Felder verdorren lassen, dass Völkerverständigung nicht über die WM erreicht wird und dass Fußball eine enorme Rolle in unserer Gesellschaft hat, die Konsequenzen der Verantwortung jedoch nicht zieht.


Welche Konsequenzen sollen wir daraus ziehen?


Ich möchte niemanden seinen Spaß verderben, und sehe ein, dass die WM nicht die einzige soziale Baustelle ist. Aber es ist die prominenteste. Ich rufe daher zum Boykott auf – zum Boykott der WM 2014 sowie aller Sponsoren und Fanprodukte. Jeder, der die Dimension dieses globalen sozialen Ungleigewichts, dass sich in dieser Veranstaltung zeigt, nachvollzieht, muss es als seine Pflicht sehen, dagegen vorzugehen. Es kann nicht sein, dass ein kleiner Kreis an Menschen in den entwickelten Ländern blinden Hedonismus schürt, um durch diesen Geld auf Kosten der Bevölkerung in der dritten Welt zu verdienen. Die sozialen Mechanismen des Fußballs werden radikal ausgenutzt, um Profit zu machen. Niemand profitiert von der WM außer der FIFA und ihren Sponsoren. Alle Versprechen, die die WM macht, werden nicht eingehalten, sondern eher ins Gegenteil verkehrt.


Die WM ist ein sadistisches Konzept, dass die Rechte der Bevölkerung in Entwicklungsländern missachtet. Sie lebt von der blinden Spaßgesellschaft, die sich immer mehr etabliert. Doch wenn das Leid in Brasilien, Südafrika und Katar sowie die Korruption nicht mehr ignoriert werden, wenn Sepp Blatter, die Fußballer und Co. ihrer Scheinheiligkeit beraubt werden, wenn erkannt wird, dass auch Fußball Verantwortung übernehmen muss, kann sich etwas ändern.


Viele Sportler verurteilen, Politik und Sport zu vermischen. Wenn ich Sportler wäre, würde ich das auch tun, denn ich hätte ein Interesse daran, die beiden Dinge auseinanderzuhalten. Doch überall wo gesellschaftliche Fragen entstehen, ist auch Politik da. Sport muss Verantwortung übernehmen, weil er Teil der Gesellschaft ist, weil die Existenz vieler Menschen davon abhängt. Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen heißt, sich aufs politische Feld zu begeben. Politik und Sport sind nicht mehr zu trennen.
Darüber hinaus tut die Politik viel für Sport: Es fördert ihn und schützt ihn vor ungerechtfertigten Einflüssen. Im Gegenzug kann Politik auch die Gesellschaft vor ungerechtfertigten Einflüssen seitens des Sports schützen. Sport darf in unserer Gesellschaft keine Narrenkappe tragen.


Wer das leugnet, weigert sich Verantwortung zu übernehmen.

Wer sich weigert, Verantwortung zu übernehmen, befürwortet den Status quo.

Wer den Status quo befürwortet, hat Mitschuld an der Situation der ausgebeuteten Menschen.


Ich fordere jeden auf, sich vom blinden Hedonismus zu trennen und zu überlegen, ob er etwas feiern kann, was wenigen Hundert Menschen dient und viele Millionen Menschen ins Verderben stürzt. Wenn viele Leute der WM fernbleiben, die Produkte der Sponsoren nicht mehr kaufen würden, könnte ein Umdenken stattfinden. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Das jetzige Konzept der FIFA könnte geändert werden. Bald hieße es nicht mehr "WM gegen die Menschen", sondern "WM mit den Menschen". Noch immer bestimmen die Fans das Spiel. Nutzt eure Macht als Konsument! Boykottiert diese Spiele, die zu Lasten ganzer Völker gehen! Zeigt eure Empörung und weist die FIFA wieder in ihre Grenzen zurück!


Es gibt viele sinnvolle Sachen, die man in 90 Minuten tun kann – die FIFA bei ihrem kriminellen Verhalten durch schweigende Zustimmung und konformen Verhalten zu unterstützen gehört nicht dazu.

2 Kommentare:

  1. "Es sei dahingestellt, dass viele Nationen der Welt gar keinen Fußball kennen."

    Ehrlich gesagt kenne ich da keine - oder welche meinst du?

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    1. Mit "gar keinen Fußball kennen" meine ich, dass viele Nationen die südamerikanisch-europäische Begeisterung für Fußball nicht teilen - wie z.B. Asien und der Mittlere bzw. Nahe Osten.

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CATOteam 2013
Ceterum censeo...