Martin Lotter
Monatsthema 12/13
Eine Frage, die vielleicht so alt ist wie die Menschheit selbst: Wem nützt es? Diese Frage auch bei einer Religion zu stellen, ist gewagt, aber berechtigt. Liegt vielleicht der Rückzug der Kirchen aus dem Leben der Jugend an zu geringem Nutzen für die Jugendlichen?
Monatsthema 12/13
Eine Frage, die vielleicht so alt ist wie die Menschheit selbst: Wem nützt es? Diese Frage auch bei einer Religion zu stellen, ist gewagt, aber berechtigt. Liegt vielleicht der Rückzug der Kirchen aus dem Leben der Jugend an zu geringem Nutzen für die Jugendlichen?
by-sassi / pixelio.de |
Menschen denken pragmatisch und
rational und vielleicht auch bequem. Wenn sich heute Jugendliche
Fragen stellen wie: „Was ist mein Vorteil wenn ich mich mit Kirche
beschäftige und christlich lebe? Was nützt es mir am Sonntag
(früh) einen Gottesdienst zu besuchen. Was nützt mir Gott?“ Was
wäre dann wohl die Antwort?
In einem Interview mit einem
Benediktinermönch habe ich den Satz gehört „ Religion ist eine
Lebenshilfe“. Das heißt: Religion kann mir helfen mein Leben zu
meistern. Im Alltag kommen junge Menschen im Allgemeinen klar. In
schwierigen Phasen benötigen sie Hilfe. Aber welcher Jugendliche
geht heute in persönlichen Krisen zu einem Priester? Wer geht zur
Beichte? Bei Problemen gibt es das Jugendamt, psychologische
Dienste, Selbsthilfegruppen usw. Wahrscheinlich würde kaum einem
Jugendliche in solch einer Situation einfallen, einen Priester
anzusprechen. Vielleicht suchen sie Kontakt zu einer kirchennahen
Organisation wie der Caritas. Edmund Stoiber würde es so
formulieren: Die Kirchen haben die Kompetenzkompetenz in Fragen der
Lebenshilfe verloren.
Kirchen erleben Zulauf, wenn es
gesellschaftliche Krisen gibt (unsere Großeltern nennen das
„schlechte Zeiten“). Im Gegensatz dazu verlieren sie an
Bedeutung, wenn es einer Gesellschaft wirtschaftlich, sozial und
politisch relativ gut geht. Kirche vermittelt in schweren Zeiten
Hoffnung und Trost. Gut sichtbar ist dies in Polen. War die
katholische Kirche dort eine tragende Säule der Revolution gegen die
Kommunisten, so sinkt heute ihre Bedeutung. Die Gesellschaft ist
verwestlicht. Es geht den Menschen wirtschaftlich Jahr für Jahr
besser. Wozu bedarf es Kirche? Ein gegenteiliges Beispiel sind die 3.
Welt Länder. Warum ist in Südamerika die gesellschaftliche
Bedeutung von Religion höher als in Westeuropa? Die Menschen
benötigen in 3. Welt Ländern eben mehr Hoffnung und Trost.
„Cui bono?“ hat auch viel mit
Aufklärung ( im Sinne von Kant etc.) zu tun. Für die Kirche war es
in früheren Generationen leichter, ihre Werte zu vermitteln und
ihren „Nutzen“ für die Menschen darzulegen. Kirche bot den
weniger gebildeten Menschen Antworten und Hilfe, welche sie sich
selbst nicht geben konnten. Wer bin ich?, wie soll ich leben?, was
wird aus mir? usw. Heute sind die Menschen gebildeter und geben sich
selbst Antworten auf diese Fragen. Oder sie werden in der
Beantwortung von Naturwissenschaften, Psychologen, Philosophen
(leider auch von solchen wie R.D. Precht) unterstützt. Die Kirche
hat ihr spezifisches Bildungsmonopol verloren. Wir können dieses
Phänomen recht gut in islamisch geprägten Ländern erkennen.
Geringe Allgemeinbildung trifft auf die Präsenz der Koranschule. Der
Einfluss des Islam auf die Bevölkerung ist dadurch – noch - stark.
Die sinkende gesellschaftliche und
persönliche Bedeutung von religiösen Themen für Jugendliche ist
sicher auch in unseren Familien zu suchen (ein Aspekt welcher nichts
mit „Cui bono?“ zu tun hat). Religion kann keine Aufgabe von
Schulen und Priestern oder kirchlichen Laien alleine sein. Auch
Eltern müssen einen Beitrag zur religiösen Erziehung ihrer Kinder
leisten. Aber tun sie das? Meist nein. Wenn aber schon sie sich nicht
mehr für Kirche interessieren, wie sollen es dann Ihre Kinder tun?
Sobald eine Generation aus der Kirche aussteigt ist die Kette der
Informationsweitergabe zerbrochen. Somit lautet die Frage nicht:
Jugend ohne Gott?, sondern Eltern ohne Gott?
Zusammengefasst kann man sagen, dass
„Jugend und Gott“ kein Massenphänomen mehr ist und es wird es
sicher auch für lange Zeit nicht mehr werden. Aber Quantität muss
auch nicht das Maß aller Dinge sein. Besser ist Qualität. Und da
beginnt die Chance von Kirchen. Zurück zu den Wurzeln. Lieber
wenige engagierte und überzeugte Mitglieder als Karteileichen welche
nicht mehr wissen warum sie eigentlich Christen sind. Aber wie kommt
man als Jugendlicher zu der Überzeugung, dass Christ sein einen
Nutzen hat? Die Antwort ist einfach: wie bei allem im Leben - man
muss mich damit beschäftigen. Nur jeder selbst findet die Antwort
auf „Cui bono?“. Und es gibt einen Nutzen. 2000 Jahre Christentum
sind Beweis genug. Ganz rational betrachtet.
Dieser Nutzen, der war vor allem lange Zeit die besondere Akzeptanz der Armen und Schwachen. Dies war bei vorchristlichen Religionen nicht der Fall, ebenso wie die Vorform von Menschenrechten, die auch Sklaven zusagte.
AntwortenLöschenDaneben natürlich auch die Standardfunktionen, unter anderem nach Freud, also Mystifizierung und damit Erklärung der Natur, Identitätstiftung, Kulturstiftung, Legitimation der Gesellschaftsform (nicht umsonst ist bei gläubigen Menschen bei spirituellen Erfahrungen die vermutlich für das Sozialverhalten zuständigen Gehirnareale aktiv), Hoffnungsspende und soziale Akzeptanz durch ein höheres Wesen.
Dass diese Funktionen zunehmend durch Staat und andere gesellschaftlichen Organen übernommen wird ist wohl einer der wichtigsten Punkte, warum Cui bono? heute anders beantwortet wird als früher.