Martin Lotter (Pseudonym)
Städtepartnerschaften
leisten einen wertvollen Beitrag zur Völkerverständigung. Dies war
wohl eine der wesentlichen Intentionen, als sie im letzten
Jahrhundert etabliert wurden. Durch die unzähligen Kriege in Europa
war es notwendig geworden, neben der offiziellen Diplomatie, ein
verbindendes Element - quasi an der Basis - zwischen den Bürgern
verschiedener Nationen zu etablieren. Erwünschter Nebeneffekt der
Völkerverständigung war der kulturelle Austausch, aber auch die
Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Was
wussten die einfachen Bürger Mitte des letzten Jahrhunderts denn
schon von Ihren Nachbarn? Wer verreiste, wer hatte einen Fernseher?
Kaum jemand. Wenige Bürger hatten eine höhere Schulbildung im
Rahmen derer man zumindest ansatzweise etwas von den Nachbarvölkern
erfahren konnte. Ohne Kenntnisse über fremde Länder und deren
Sitten aber war es vor dem ersten und zweiten Weltkrieg der Politik
ein Leichtes, Ressentiments gegen die Nachbarvölker aufzubauen. Und
dies wurde leider zu oft ausgenutzt.
Diesen
Vorurteilen wollte die Nachkriegspolitik entgegenwirken und förderte
Städtepartnerschaften. Und die Kommunen - selbst die kleinsten
Einheiten - haben rege von der Förderung Gebrauch gemacht und sich
mit einer oder mehrerer Partnerstädte zusammen geschlossen Größere
Städte wie Nürnberg oder Köln haben heute bis zu 20
Partnerschaften. Selbst kleinste Kommunen wie Oerlenbach oder Bad
Kissingen haben eine oder mehrere Partnerstädte in Europa.
Nunmehr
stellt sich die Frage, ob fast 70 Jahre nach Kriegsende und in einer
globalisierten Welt die Sinnhaftigkeit dieser staatlich
subventionierten Verbindungen noch gegeben ist. Kulturelle Bildung
über diverse Medien wie Fernsehen oder Internet sind in Europa
Standard. Reisen ist für die meisten Bürger erschwinglich und
technisch kein Problem mehr. Mit Billigfliegern wie Ryanair kann man
die meisten Städte des europäische Kontinents zum Schnäppchenpreis
besuchen. Deutsche sind sowieso „Reiseweltmeister“. Waren noch
vor 2 Generationen Auslandsaufenthalte nur der vermögenden
Oberschicht vorbehalten, reisen heutzutage schon Schulklassen
standardmäßig durch Europa. Fast jeder Schüler fährt zum Skikurs
nach Österreich.
Wozu war
überhaupt jemals eine Partnerschaft zwischen Deutschen und
österreichischen Städten notwendig? Sind wir so verschieden, dass
wir deren Kultur kennenlernen müssen? Hatten wir jemals miteinander
Krieg? Wozu also eine Städtepartnerschaft zwischen Eisenstadt und
Bad Kissingen? Noch irrationaler scheint mir der heutige Nutzen von
Städtepartnerschaften zwischen deutschen Städten wie Oberhof und
Bad Neustadt oder Suhl und Würzburg.
Selbst
Italien hat Partnerschaften mit Deutschland! Die Strände von Rimini
oder der Gardasee sind fest in „deutscher Hand“. Und auf den
Rängen der Arena von Verona wird fast nur deutsch gesprochen. Wir
Deutschen kennen Italien und die Italiener kennen uns. Das zweite
Oktoberfestwochenende wird das Italienische genannt, weil Zigtausend
Italiener über die Alpen nach München kommen. Wozu heute noch eine
Partnerschaft zwischen Verona und München? Wo ist der Nutzen der
Partnerschaft von Cerro Maggiore und Bad Neustadt?
Die
gleiche Frage könnte man auch zu Partnerschaften mit französischen
oder britischen Städten stellen. Die Kulturen globalisieren sich
stetig. Die Völker verständigen sich auch ohne Städtepartnerschaft
auf vielfältige Weise. Der internationale Kontakt der europäischen
Bürger ist enger denn je. Und auch die wirtschaftliche
Zusammenarbeit, als ein ursprünglicher und übergeordneter
Nebeneffekt der Städtepartnerschaften, ist durch die EU gegeben.
Somit
stellt sich die Frage, warum deutsche Kommunen im 21. Jahrhundert
überhaupt noch Städtepartnerschaften pflegen. Warum verschwenden
der Bund und die Kommunen hierfür Steuergelder?
Weil die
Partnerschaften nun mal da sind und kein Kommunalpolitiker den Mut
hat diese aufzulösen? Es wäre ja politisch unkorrekt. Und zudem:
Welcher Bürgermeister möchte in den Annalen der Stadt als der
dastehen, der die Städtepartnerschaft aufgelöst hat. Oder gibt es
die Städtepartnerschaft deshalb noch, weil es ganz nett ist, auf des
Steuerzahlers Kosten mit den Kollegen aus der Kommunalpolitik zu
verreisen und Urlaub zu machen? Oder will der (Ober-)Bürgermeister
zur Abwechslung auch gerne mal Mini-Außenminister auf
Sandkastenniveau spielen? Schließlich sind ja die üblichen
Tagesthemen wie Abwasserbeseitigung, Abfallentsorgung oder Auftritte
bei Seniorennachmittagen nicht gerade der Traumjob.
Kommunen
in Deutschland und noch viel mehr die Kommunen im europäischen
Ausland leiden unter Finanznöten. Ist spätestens dies nicht ein
Grund zu fragen, warum man heute noch Städtepartner- schaften
subventioniert? Ihr originärer und historischer Zweck ist schon
lange weggefallen. Bedarf es nicht einer offenen Diskussion über
deren Fortsetzung im 21. Jahrhundert?
Wie auch
immer. Es benötigt immer einen Mutigen der die Wahrheit offen
ausspricht. Und die Wahrheit ist: Europa braucht keine
Städtepartnerschaften mehr.
Ich widerspreche. Wir dürfen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen, die wir uns in den letzten 70 Jahren auf dem Gebiet der Völkerverständigung verdient haben. Auch wenn ein Dritter Weltkrieg momentan wenig wahrscheinlich erscheint, hat uns die Eurokrise gezeigt, wie leicht nationale Vorurteile wieder aufflammen können. Der Autor hat sehr schön gezeigt, wie solche Vorurteile ausgenutzt werden können, und mit welchen Konsequenzen. Die EU ist nach wie vor darauf angewiesen, dass nicht nur ihre Politiker, sondern alle ihre Bürger vereint sind. Deshalb können wir die Völkerverständigung nie als "fertiggestellte Baustelle" behandeln.
AntwortenLöschenAuch kann man nicht sagen, dass sich Völkerverständigung über Urlaube oder Informationen im Schulunterricht bewerkstelligen lässt. Ferien im Ausland und Schulstunden über "die Welt da draussen" mögen ihren Teil beitragen, sie sind aber keineswegs ausreichend. Denn Völkerverständigung ist, wie der Name schon sagt, keine Sache des Wissens, sondern des Verstehens. Und ein richtiges Verständnis für eine andere Kultur (auch vermeintlich ähnlicher Kulturen innerhalb Europas) lässt sich ausschließlich über länger anhaltende Beziehungen erlangen, wie sie im Rahmen einer Städtepartnerschaft entstehen können. (Nicht, dass sie der einzige Weg seien, um solche Beziehungen zu formen, aber sie sind in dieser Rolle nicht zu verachten.) Deshalb denke ich nicht, dass man Städtepartnerschaften rein nach ihren finanziellen Kosten beurteilen sollte.
Ich sehe das Problem in der Definition von "Städtepartnerschaften". Es gibt solche, die den im Text beschriebenen Eigenschaften entsprechen und wirklich überflüssig sind. Ich könnte hier einige Beispiele aufzählen (vor allem auf nationaler Ebene). Daneben gibt es sicherlich solche, die wirklich zu Völkerverständigung beitragen, auch wenn es mir an adäquaten Beispielen mangelt. Sie sind jedoch sicherlich interkontinantal ausgerichtet, denn innerhalb der Kernstaaten der EU (bzw. Mitteleuropa; Deutschland und Nachbarstaaten ) sehe ich nur noch marginale kulturelle Unterschiede, die sich nach erlernen der Sprachen fast vollständig auflösen. Es ist Zeit für eine Rationalisierung der Städtepartnerschaften, nach dem Motto: entweder ganz oder gar nicht.
AntwortenLöschen