Daniel Vedder
Viele Eltern
verfluchen sicherlich Sir Tim Berners-Lee. Vorausgesetzt, sie wissen,
wer er ist. Denn dieser Mann, bekannt als Erfinder des World Wide
Web, ist verantwortlich für die größte Herausforderung, der sich
Eltern heutzutage stellen müssen. Das Internet ist das große
Unbekannte, ein Neuland voller Gefahren für sie, die ältere
Generation der „Digital Immigrants”. Das Schlimmste für sie ist
jedoch, dass sich ihre Kinder scheinbar sorglos und blauäugig in
diesem verseuchten Dschungel tummeln.
Schnell werden dabei Vorfwürfe laut.
Ob ihre Sprösslinge denn nicht wüssten, das Facebook & Co. der
reinste Spielplatz für Pädophile seien? Schließlich kennen heutige
Jugendliche sowieso keine ihrer Internetkontakte mehr persönlich.
Und ein soziales Leben in der „realen” Welt gibt es auch nicht
mehr.
Die Liste der Vorwürfe kann beliebig
fortgeführt werden. Sei es die unkritische Akzeptanz der „Fakten“
in einem Wikipedia-Artikel, die Nutzung von SMS-Deutsch im täglichen
Sprachgebrauch, oder einfach nur die vielen am Computer verbrachten
Stunden – von allen Seiten hagelt es Kritik. Ironischerweise kommt
die lauteste Kritik von denjenigen, die laut eigener Angabe nichts
von diesem neuen digitalen Medium verstehen.
Es würde ihnen guttun, sich selbst
ein wenig mehr mit der „größten Gefahr unserer Zeit“ zu
beschäftigen. Denn letztendlich ist es mit dem Internet nicht viel
anders als mit dem Straßenverkehr – je besser man sich auskennt,
desto sicherer fährt man. Man wirft uns, der heranwachsenden
Generation, vor, die vielen Gefahren „unseres“ Mediums zu
übersehen, ja, ihnen sogar Tür und Tor zu öffnen.
Doch heißen wir nicht umsonst
„Digital Natives“. Wir kennen die Gefahren gut, und wir wissen,
wie man mit ihnen umgeht. Entgegen den Vorstellungen vieler Eltern
haben Studien gezeigt, dass wir durchaus an dem Schutz unserer
Privatsphäre, auch online, interessiert sind. Und Onlinespiele
spielen wir auch viel lieber mit unseren echten Freunden als mit
irgendwelchen anonymen Kontakten.
Darum ärgert es uns, wenn Autoren wie
Manfred Spitzer („Digitale Demenz“) oder Axel Dammler („Verloren
im Netz – Macht das Internet unsere Kinder süchtig?“) uns
scheinbar kollektiv jede soziale und intellektuelle Lebenskompetenz
absprechen, sobald Computer im Spiel sind. Denn ja, wir kennen die
Gefahren. Und ja, wir wissen, wie man mit ihnen umzugehen hat.
Anstatt dauernd die vielen Gefahren zu
betonen, sollte man auch über die Möglichkeiten reden, die uns das
Internet bietet. „Digital Natives“ verfügen über eine
Medienkompetenz, von der viele unserer Eltern nur träumen. „Da
wird im Internet ausführlich recherchiert und tolle Präsentationen
in PowerPoint erstellt und vorgetragen“, meint beispielsweise die
Gymnasiallehrerin Dörthe Stockhaus. Und das ist nur die Spitze des
Eisbergs. Andere Jugendliche erstellen für ihre Familien Websites,
um der ganzen Verwandtschaft eine einfache und schnelle Kommunikation
zu ermöglichen. Mit 15 wurde ein Jugendlicher einer der
Chefentwickler des Firefox Webbrowsers, der von Millionen als
schnelles und sicheres Programm geschätzt wird. Mit 22 erfand Mark
Zuckerberg Facebook, das mittlerweile über eine Milliarde Menschen
weltweit verbindet. Diese Medienkompetenz ist von unschätzbarem Wert
in der heutigen Wirtschaft. Und sie wird großteils im Internet
gelernt.
Es gibt noch viele andere Vorteile des
Internets. Die atemberaubende Informationsfülle, die es bietet,
schlägt jede Bibliothek, wenn es um Menge und Einfachheit des
Zugriffs geht. In sogenannten „Massive Open Online Courses“
(MOOCs) kann man bequem von Zuhause aus gratis Universitätskurse auf
höchstem Niveau mitmachen. Auf sozialen Netzwerken kann man einfach
mit Freunden Kontakt halten, auch wenn diese über die ganze Welt
verstreut sein sollten.
Angst vor dem Unbekannten zu haben ist
völlig normal. Doch muss diese Angst dazu führen, dass eine ganze
Generation in ihrem Verhalten verteufelt wird? Zugegeben, schon
Aristoteles klagte zu seiner Zeit über „die Jugend von heute“.
Doch hat der Aufstieg des Internets dem Konflikt der Generationen
noch einmal Öl auf das Feuer gegossen. Um dem entgegenzuwirken,
brauchen wir Eltern, die bereit sind, die Welt ihrer Kinder wirklich
kennenzulernen. Nur so werden wir die vielen herrschenden Vorurteile
abschaffen können. Wir Jugendliche sind keine „Ausgeburt der
Cyberhölle“, weil es diese „Cyberhölle“ gar nicht gibt. Walt
Disney sagte: „We keep moving forward, opening new doors and doing
new things, because we're curious, and curiosity keeps leading us
down new paths.“ Darum lasst uns gemeinsam durch diese Tür gehen,
die Sir Tim Berners-Lee für uns geöffnet hat.
Quellen
- M. Hollstein, D. Steffan, P. Kuhn (2009). “Jugend 2.0 – Gefangen im virtuellen Netz?”, Die Welt. http://www.welt.de/politik/bildung/article3456343/Jugend-2-0-gefangen-im-virtuellen-Netz.html
- U. Gasser (2009). “Jugend und das Internet”, Frankfurter Allgemeine Zeitung. http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/computer-internet/jugend-und-das-internet-surfen-macht-schlau-1758040.html
Du stellst sehr schön dar, wie Unwissenheit, polarisierende Medien und Generationenkonflikte zu einer ideologisch anmutenden Diskussion mit vielen Stereotypen, Klischées und Halbwahrheiten führen.
AntwortenLöschenAllgemein gibt es zwei Bilder vom Internet, welche du beide darstellst. Gegen Ende tendierst du aber zum Bild des Paradises, indem die Pygmäen ("Digital Natives" oder dein "wir") wissend, weise und vorsichtig umherstreifen und dabei goldene Früchte ernten (entschuldige diese überspitzte Allegorie).
Jedoch ist zu bezweifeln, dass alle von "uns" (ich bezweifle, dass wir homogen genug sind, um von uns zu sprechen) wirklich so wissend sind. Ich kenne viele, die zwar von Anfang an beim Internet dabei waren, jedoch jegliche Sorgen angesichts der Verlockungen des Internets über Bord werfen und direkt zu den Felsen der Sirenen fahren.
Das Internet ist weder Paradis noch Hölle - es ist ein Garten, in dem es Schlangen gibt, und viele der Eingeborenen werden gebissen, weil sie zwar jeden Obstbaum kennen, aber keine Ahnung haben, dass es wie das echte Leben Risiken gibt.
Ich verneine nicht, dass das Internet auch viele Gefahren birgt, noch, dass viele darin schon "gebissen" wurden. Meine Hauptthese ist nur, dass es viele gute Möglichkeiten bietet, und dass sich besagte Gefahren mit Wissen und unter Anwendung eines gesunden Menschenverstandes minimieren lassen. Eine umfassende, differenzierte Betrachtung würde einen signifikant längeren Artikel (wenn nicht gar ein Buch) erfordern. Mein Ziel war es lediglich, dem leider allzuverbreiteten Image einer "Cyberhölle" entgegenzuwirken.
LöschenDiesem Vorhaben möchte ich ausdrücklich meinen Segen geben, denn nur wenn wir das Internet rational und realistisch wahrnehmen, können wir den existierenden Gefahren und Ungerechtigkeiten entgegenwirken.
Löschen