KW 2
Es ist das Ereignis, das wohl ganz Europa, wahrscheinlich die ganze "freie" Welt schockiert hat: erschreckende Brutalität gegen das, was uns heilig ist. Pressefreiheit gehört zu unseren wichtigsten Werten. Doch gehen wir mit diesem Angriff richtig um?
Wort der Woche: Je suis Charlie
Die vergangenen Tage zeigen uns, wie verletztlich unser scheinbar sicherer Weltteil ist. Es reicht bereits wahnhafte Verbissenheit, um eine ganze Nation wie Frankreich ins Chaos zu stürzen. Die Terroristen haben ihr Ziel erreicht, die Welt ist verschreckt und verunsichert. Doch noch steht es in den Sternen, welchen Schaden diese Hassakte wirklich hinterlassen.
Es ist immer wieder ein bedrückener Moment, wenn man kurz die Nachrichten überprüft und von solchen Hiobsbotschaften zum ersten Mal erfährt. In wenigen Sekunden kommen einem zahlreiche Gedanken, welche Folgen dieser Vorfall haben kann. Einige waren mir sofort klar, andere sind mir erst nach einiger Zeit bewusst geworden.
Für Deutschland und die Welt kamen die Anschläge zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Seit dem 11. September entwickelt sich der Islam aufgrund der marginalen, aber medial auffälligen radikalen Strömungen zu einem Feindbild der westlichen Kultur, wie es die Barbaren für die Griechen waren. Genau wie damals werden nur die schlechtesten Erfahrungen fokussiert und Gegenbeispiele ignoriert, noch nicht einmal mit Absicht, sondern deshalb, weil sie kaum mediale Aufmerksamkeit erhalten. Gerade im vergangenem Jahr war dies besonders dramatisch angesichts der Offensive von Boko Haram und vor allem dem IS. Doch gerade hier gab es eine Chance dafür, dass die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus verstärkt wird, vergehen sich doch beide Organisationen primär an Muslimen (obwohl natürlich Angriffe auf Christen wie Jesiden deutlich mehr Bestürzung hervorriefen). Da nun wieder der Westen selbst in den Fokus geriet, ist dies ein Rückschlag.
Doch gerade in Deutschland haben wir nun eine explosive Mischung. Wer am Mittwochabend durch deutsche Innenstädte ging, hatte gute Chancen PEGIDA-Mahnwachen zu sehen, die sich in ihren Zielen nun noch bestärkt sehen. Lauthals verbreiteten sie mit aggressivem Unterton und Immunität gegen sachliche Argumente ihre Botschaft von der "Islamisierung des Abendlandes", womöglich mit Gewalt, Feuer und Schwert wie einst Karl der Große in Sachsen das Christentum einführte - nur gab es damals in Dresden noch keine Montagsdemonstrationen. Solche Gräultaten wie in Frankreich verstärken den Tunnelblick und die Angst vor dem vermeintlich gefährlichen Islam. Nach diesem Ereignis wird es schwer, gegen die grassierende Islamophobie anzukämpfen oder sie einzudämmen.
Gerade das ist die Gefahr, die von den Anschlägen ausgeht: die Attentäter handelten aus Hass gegen die westliche Kultur. Einen ähnlichen Hass gegen den Islam züchten sie damit in der westlichen Welt, und jeder, der ihm erliegt, läuft Gefahr, genauso zu werden wie sie.
Man sagt, sie kämpfen gegen die westlichen Werte, doch sie tun noch viel schlimmeres: Sie bringen uns dazu, sie selber aufzuweichen, durch Xenophobie und Angst. Die Vorratsdatenspeicherung ist eine wieder aufflammende Forderung - ist das nicht eine ähnliche Dynamik wie beim Patriot Act? Verkaufen wir die Freiheit für die Freiheit?
Bei all diesem Schrecken ist es notwendig, dass wir die Rationalität nicht verlieren und uns nicht in emotionale Blindheit stürzen. Der Angriff auf "Charlie Hebdo" ist nichts einmaliges. Es ist auch ein Medienereignis, und die "Je suis Charlie"-Bewegung auch ein Teil davon. Die durchaus vergleichbaren und auch bereits einige Male vorgekommenen tödlichen Anschläge auf Abtreibungskliniken in den USA mittels Bomben und Waffen, durchgeführt von christlichen Fundamentalisten und solchen, die sich so nennen, werden medial kaum thematisiert. Außerdem war sich die Redaktion von "Charlie Hebdo" der Gefahr durchaus bewusst, immerhin war dies nicht der erste Anschlag.
Aber eines sollte man niemals vergessen, zumal es wahrscheinlich ist, dass die Täter mit dem IS und Al-Quaida in Kontakt standen: es sind einige Europäer in den letzten Tagen gestorben. Doch in Syrien, Nigeria, dem Irak und zahlreichen anderen Ländern sind noch viele, viele Menschen mehr gestorben, gefoltert und vergewaltigt worden. Die Berichte von dort stehen den Kameraaufnahmen in keinster Weise an Grausamkeit nach. Europäer sind nicht mehr wert als andere Menschen, auch wenn das die Berichterstattung suggeriert.
Wer in den letzten Tagen "Je suis Charlie" sagte, anschrieb oder in sozialen Netzwerken verbreitete, soll sich in ganz besonderem aufgefordert fühlen, nicht nur über Mohammed-Comics zu lachen, sondern dem Hass keinen Nährboden zu bieten, nicht nur die Pressefreiheit zu schützen, sondern auch Xenophobie zu bekämpfen, und nicht nur den französischen Opfern zu Gedenken, sondern auch den zahlreichern Opfern im Rest der Welt. Ganz besonders wichtig ist hier: Das Leben vieler Menschen dort kann noch gerettet werden. Es braucht den Willen, dies zu tun.
Niklas Götz
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Es ist das Ereignis, das wohl ganz Europa, wahrscheinlich die ganze "freie" Welt schockiert hat: erschreckende Brutalität gegen das, was uns heilig ist. Pressefreiheit gehört zu unseren wichtigsten Werten. Doch gehen wir mit diesem Angriff richtig um?
Wort der Woche: Je suis Charlie
Die vergangenen Tage zeigen uns, wie verletztlich unser scheinbar sicherer Weltteil ist. Es reicht bereits wahnhafte Verbissenheit, um eine ganze Nation wie Frankreich ins Chaos zu stürzen. Die Terroristen haben ihr Ziel erreicht, die Welt ist verschreckt und verunsichert. Doch noch steht es in den Sternen, welchen Schaden diese Hassakte wirklich hinterlassen.
Es ist immer wieder ein bedrückener Moment, wenn man kurz die Nachrichten überprüft und von solchen Hiobsbotschaften zum ersten Mal erfährt. In wenigen Sekunden kommen einem zahlreiche Gedanken, welche Folgen dieser Vorfall haben kann. Einige waren mir sofort klar, andere sind mir erst nach einiger Zeit bewusst geworden.
Für Deutschland und die Welt kamen die Anschläge zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Seit dem 11. September entwickelt sich der Islam aufgrund der marginalen, aber medial auffälligen radikalen Strömungen zu einem Feindbild der westlichen Kultur, wie es die Barbaren für die Griechen waren. Genau wie damals werden nur die schlechtesten Erfahrungen fokussiert und Gegenbeispiele ignoriert, noch nicht einmal mit Absicht, sondern deshalb, weil sie kaum mediale Aufmerksamkeit erhalten. Gerade im vergangenem Jahr war dies besonders dramatisch angesichts der Offensive von Boko Haram und vor allem dem IS. Doch gerade hier gab es eine Chance dafür, dass die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus verstärkt wird, vergehen sich doch beide Organisationen primär an Muslimen (obwohl natürlich Angriffe auf Christen wie Jesiden deutlich mehr Bestürzung hervorriefen). Da nun wieder der Westen selbst in den Fokus geriet, ist dies ein Rückschlag.
Doch gerade in Deutschland haben wir nun eine explosive Mischung. Wer am Mittwochabend durch deutsche Innenstädte ging, hatte gute Chancen PEGIDA-Mahnwachen zu sehen, die sich in ihren Zielen nun noch bestärkt sehen. Lauthals verbreiteten sie mit aggressivem Unterton und Immunität gegen sachliche Argumente ihre Botschaft von der "Islamisierung des Abendlandes", womöglich mit Gewalt, Feuer und Schwert wie einst Karl der Große in Sachsen das Christentum einführte - nur gab es damals in Dresden noch keine Montagsdemonstrationen. Solche Gräultaten wie in Frankreich verstärken den Tunnelblick und die Angst vor dem vermeintlich gefährlichen Islam. Nach diesem Ereignis wird es schwer, gegen die grassierende Islamophobie anzukämpfen oder sie einzudämmen.
Gerade das ist die Gefahr, die von den Anschlägen ausgeht: die Attentäter handelten aus Hass gegen die westliche Kultur. Einen ähnlichen Hass gegen den Islam züchten sie damit in der westlichen Welt, und jeder, der ihm erliegt, läuft Gefahr, genauso zu werden wie sie.
Man sagt, sie kämpfen gegen die westlichen Werte, doch sie tun noch viel schlimmeres: Sie bringen uns dazu, sie selber aufzuweichen, durch Xenophobie und Angst. Die Vorratsdatenspeicherung ist eine wieder aufflammende Forderung - ist das nicht eine ähnliche Dynamik wie beim Patriot Act? Verkaufen wir die Freiheit für die Freiheit?
Bei all diesem Schrecken ist es notwendig, dass wir die Rationalität nicht verlieren und uns nicht in emotionale Blindheit stürzen. Der Angriff auf "Charlie Hebdo" ist nichts einmaliges. Es ist auch ein Medienereignis, und die "Je suis Charlie"-Bewegung auch ein Teil davon. Die durchaus vergleichbaren und auch bereits einige Male vorgekommenen tödlichen Anschläge auf Abtreibungskliniken in den USA mittels Bomben und Waffen, durchgeführt von christlichen Fundamentalisten und solchen, die sich so nennen, werden medial kaum thematisiert. Außerdem war sich die Redaktion von "Charlie Hebdo" der Gefahr durchaus bewusst, immerhin war dies nicht der erste Anschlag.
Aber eines sollte man niemals vergessen, zumal es wahrscheinlich ist, dass die Täter mit dem IS und Al-Quaida in Kontakt standen: es sind einige Europäer in den letzten Tagen gestorben. Doch in Syrien, Nigeria, dem Irak und zahlreichen anderen Ländern sind noch viele, viele Menschen mehr gestorben, gefoltert und vergewaltigt worden. Die Berichte von dort stehen den Kameraaufnahmen in keinster Weise an Grausamkeit nach. Europäer sind nicht mehr wert als andere Menschen, auch wenn das die Berichterstattung suggeriert.
Wer in den letzten Tagen "Je suis Charlie" sagte, anschrieb oder in sozialen Netzwerken verbreitete, soll sich in ganz besonderem aufgefordert fühlen, nicht nur über Mohammed-Comics zu lachen, sondern dem Hass keinen Nährboden zu bieten, nicht nur die Pressefreiheit zu schützen, sondern auch Xenophobie zu bekämpfen, und nicht nur den französischen Opfern zu Gedenken, sondern auch den zahlreichern Opfern im Rest der Welt. Ganz besonders wichtig ist hier: Das Leben vieler Menschen dort kann noch gerettet werden. Es braucht den Willen, dies zu tun.
Niklas Götz
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Je ne suis pas Charlie. Ich bin Atheist, aber ich stehe nicht auf Seiten derer, die Religionen schmähen.
AntwortenLöschenInteressanterweise hat aber gerade der aktuelle Papst dasselbe gesagt.
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